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Orte für Begegnungen schaffen

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Inklusion in Kleingärtnervereinen


Inklusion in KleingärtnervereinenFoto: Roemer Inklusion in Kleingärtnervereinen – das Projekt „SchreberKunst“ zeigt, wie es geht.


Es ist schon wieder über ein Jahr her, als ich nur mal kurz von meiner Parzelle eine Kiste Äpfel für eine Sportveranstaltung holen wollte. Mit dabei war Hergen Bauer. Er arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen und ist zugleich auch Mitglied im Behindertenbeirat des Landkreises Wesermarsch. Er schaute sich interessiert die Gartenanlage an und sagte dann: „Waldo, diese Anlage ist überhaupt nicht barrierefrei, hier kann sich kein Mensch, der im Rollstuhl sitzt oder am Rollator geht, bewegen!“ Ich musste lachen, damit hatte ich nicht gerechnet. Aber als ich dann am Folgetag durch die Anlage ging, wurde mir bewusst, dass Inklusion in Kleingärtnervereinen ein gesellschaftlich wichtiger Beitrag wer­den sollte.


Barrierefreie Anlagen

Ein halbes Jahr später wurde auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung des Kleingärtnervereins „Oldenburg-Nord“ beschlossen, das Projekt „In­klu­sion im Kleingarten“ durchzuführen. Nach vielen Recherchen und der aktiven Mitarbeit im Rahmen des Projektes „Kommunaler Aktionsplan Inklusion Oldenburg“ starten wir in diesem Frühjahr in die nächste Phase.

Wir laden interessierte Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen in unsere Gartenanlage ein. Bei einem Rundgang werden sie uns zeigen, wo für sie Barrieren sind. Auch werden sie uns zeigen, wie eine Parzelle gestaltet werden muss, damit sie von ihnen gärtnerisch genutzt werden kann. Barrieren sind in unserem Alltag für viele Menschen in unterschiedlicher Weise erleb- und fühlbar, z.B. für Eltern mit Kinderwagen oder den sehbehinderten Mann.
Gemeinsam werden wir dann einen Aktionsplan ausarbeiten, in dem steht, was geändert werden sollte. Einiges ist jetzt schon abzusehen: Die Wege, das Vereinsheim und unser Lagerhaus müssen barrierefrei angelegt werden, Behindertenparkplätze direkt am Eingang zur Anlage geschaffen und der Kinderspielplatz umgestaltet werden.

Das Projekt „Inklusion im Kleingärtnerverein“ ist auch in der Umsetzung inklusiv ausgerichtet. Beteiligt an der Planung und Durchführung sind die Gartenfreunde, die Stadt Oldenburg, private Unternehmen, Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sowie Nachbarn und interessierte Bürger aus dem Stadtteil, in dem sich unsere Anlage befindet. Begleitet wird das Projekt von der Presse und dem Lokalfernsehen.

Bei der Finanzierung werden wir Zu­schüs­se bei der Aktion Mensch, der Stadt Oldenburg und verschiedenen Stiftungen beantragen. Außerdem werben wir bei Bürgern und Firmen um Geld- und Sachspenden für die Umgestaltung der Anlage.


Orte für Begegnungen

Nicht nur die barrierefreie Umgestaltung einer Kleingartenanlage ist ein Weg, „Inklusion“ in den Kleingärtnervereinen zu leben. Auch mit Projekten und Veran­staltungen haben Gartenfreunde Möglichkeiten, Orte für Begegnungen zu schaffen.

Seit 15 Jahren arbeite ich als Theaterpädagoge und Musiker mit Menschen ver­schiedener Generationen, verschiedener kultureller Herkunft sowie mit Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen. Mein großes Anliegen ist es, Menschen zusammenzubringen, z.B. beim Theaterspielen. Während der Proben werden unendlich viele Barrieren und Berührungsängste beseitigt, ohne dass sie diskutiert werden müssen.

Das ist auch beim jährlichen „Hunte Cup“ so, der vom Kleingärtnerverein „Ol­denburg-Nord“ mitveranstaltet wird. Obdach­lose, Flüchtlinge, Menschen mit Beeinträch­tigungen und Migranten kommen hier zu­sammen und gestalten ein Fußballturnier, bei dem es in erster Linie um das Zusammenkommen und den Spaß am Sport geht.


SchreberKunst

Ein weiteres Beispiel ist das Projekt „SchreberKunst“, bei dem im Sommer 2014 zwei Tage lang Menschen zusammenkamen, um gemeinsam eine Kleingartenlage künstlerisch zu bespielen. Die Teilnehmer führten Maskenspiele auf, machten Musik oder errichteten etwa Installationen. Fast 200 Leute zwischen fünf und 80 Jahren machten mit.

In den Wochen vorher wurde in verschiedenen Einrichtungen in Workshops und Kursen eifrig für diese Kunstveranstaltung kreiert, gebaut und gebastelt. Kinder aus sechs Schulklassen und einer Kindertagesstätte bekamen vom Verein freie Parzellen, die sie nach ihren Ideen künstlerisch gestalten konnten.  

Manche Gartenfreunde luden die Kinder auf ihre Parzelle ein, und es gab regen Austausch über Gemüse, Blumen und darüber, wie es so ist in einem Kleingarten.

Viele Nachbarn und Gartenfreunde unterstützten die Veranstaltung. Auch einige Firmen halfen mit, so wurden etwa die barrierefreien WCs oder der Kühlwagen gesponsert.
Das Feedback auf die Veranstaltung war durchweg positiv. Viele von den ca. 400 Besuchern haben eine Kleingartenanlage aus einer ganz anderen Perspektive erfahren, und einige von ihnen wollen jetzt sogar eine Parzelle pachten!


Integration versus Inklusion

Barrierefreie Wege in den AnlagenFoto: Kleingärtnerverein Oldenburg-Nord Barrierefreie Wege in den Anlagen – ein erster Schritt zur Inklusion. Wenn „Inklusion“ auch in den Klein­gärtnervereinen gelebt werden soll, muss „Inklusion“ erst einmal von „Integration“ unterschieden werden: Bei Integration geht es darum, etwas in ein bestehendes System einzufügen.

Bei der Inklusion geht es darum, gemeinsam ein System zu gestalten. Das bedeutet, dass alle Betroffenen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Behinderung, gleichberechtigt sind und ihre Sache selbst vertreten. „Nicht ohne uns über uns!“ ist eine Forderung der Behinderten.

Denn in einer inklusiven Gesellschaft ist es völlig normal, verschieden zu sein. Jeder Mensch ist willkommen, davon profitieren wir alle, z.B. durch den Abbau von Hürden, damit die Umwelt für alle zugänglich wird, aber auch durch weniger Barrieren in den Köpfen, mehr Offenheit, Toleranz und ein besseres Miteinander.


Recht auf Selbstständigkeit

Menschen mit Beeinträchtigungen haben eines gemeinsam: Sie möchten ein eigenständiges, möglichst „nor­males“ Leben führen. Sie möchten ohne Hilfe in ihre Wohnung und in die von Freunden gelangen. Sie möchten Behördengänge erledigen, oder durch die Stadt bummeln, ohne Hindernisse überwinden zu müssen.

Sie wünschen sich, ohne Hilfe das WC zu benutzen oder sich versorgen zu können. Sie möchten ins Kino gehen und ins Konzert, in den Jugendclub, auf den Kinderspielplatz und ins Schwimmbad. Damit das möglich ist, sind sie auf eine bar­rierefreie Umwelt angewiesen. Wir Gartenfreunde können diesen Menschen dabei helfen, ein möglichst selbstständiges Le­ben zu führen und Inklusion in unseren Vereinen zu verwirklichen – auch wir wer­den davon profitieren.

Waldo Bleeker
Vorsitzender Kleingärtnerverein
Oldenburg-Nord