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Alte Obstsorten – Klassiker im Obstgarten

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Warum alte Sorten so wichtig sind

Alte Obstsorten sind in aller Munde, und es ist wieder modern, sie zu pflanzen. Selbst in Gar­ten­cen­tern und Baumärkten werden wieder einige alte Sorten angeboten. Aber was sind eigentlich „alte Obstsorten“?


Wendländisches SeidenhemdchenFoto: Anderßon ‘Wendländisches Seidenhemdchen’


Als alte Obstsorten werden Apfel- und Birnensorten bezeichnet, die vor 1920 entstanden sind. Im „Farbatlas alte Obstsorten“ von Walter Hartmann (Ulmer Verlag, ISBN 978-3-8001-0316-4) heißt es: „Als alt wird eine Sorte betrachtet, die schon vor 100 Jahren bekannt war.“ Aber auch bei Steinobst und Beerenfrüchten gibt es alte, bewährte Sorten.

Die Zeit zwischen 1760 und 1920 gilt als Hoch-Zeit der Pomologie. Viele Gelehrte wie Lehrer, Pfarrer oder Ärzte, aber auch das Bürgertum begannen, sich mit dem Obstbau zu befassen. Es entstanden viele Sortenbeschreibungen, und es wurde versucht, die unübersichtliche Sor­ten­viel­falt zu katalogisieren und die einzelnen Sorten zu bewerten. 1860 gründete sich der Deutsche Pomologen-Verein mit dem Ziel, Sorten zu beschreiben und Empfehlungen für bestimmte Sorten zu geben. Es gab in Mitteleuropa zu dieser Zeit wohl mehr als 3000 Apfel- und ebenso viele Birnensorten.

Im frühen Mittelalter waren Obstbäume noch eine Spezialkultur in Klostergärten und den Prunk­gär­ten der Adelsschicht. Über die Jahrhunderte mauserte das Obst sich zu einem Nahrungsmittel der breiten Bevölkerung. Anfang des 18. Jh. hatte Friedrich der Große damit begonnen, Obstbäume an den großen Heeresstraßen pflanzen zu lassen, und aus der Gärtnerei der „Herrenhäuser Gärten“ in Hannover wurden ab 1766 bis zu 20.000 Obstbäume pro Jahr kostenlos abgegeben.

In jedem Dorf entwickelten sich aus Zufallssämlingen eigene Sorten mit besonderen Ei­gen­schaf­ten. In Süd- und Mit­teldeutschland entstanden ausgedehnte Streuobstwiesen. In Norddeutschland lie­ßen das raue Klima und die Besitzverhältnisse diesen Anbau so nicht zu. Stattdessen wurden auf den gemeinschaftlich genutzten Flächen um die Dörfer grüne Streuobstgürtel geschaffen oder „Obstalleen“, welche die Dörfer verbanden.


Obstallee in NorddeutschlandFoto: Anderßon Eine alte „Obstallee“ in Norddeutschland.


Ab 1920 wurden immer mehr Obstplan­tagen mit schwächer wachsenden Bäumen angelegt. Hochstammanlagen galten als unmodern, und es wurden z.T. Rodungsprämien gezahlt. Auch durch neue Siedlungsflächen am Rande der Dörfer verschwanden viele Streuobstwiesen. Heute werden Streuobstwiesen und die alten Sorten wieder gefördert, da sie schützenswerte Biotope und ein wertvolles Genreservoir darstellen.


Warum sind alte Obstsorten besser?

Die heute noch verfügbaren alten Sorten sind zu einer Zeit entstanden, als es noch keine che­misch-syn­the­ti­schen Spritzmittel gab. Diese Sorten entwickelten sich zufällig aus Kernen eines Apfels oder einer Birne, die achtlos weggeworfen wor­den waren. Es setzten sich nur die Sorten durch, die an die lokalen Standortbedingungen angepasst waren.

Erst wenn der Baum Früchte trug und jemand die Früchte für nutzbar hielt, wurde die Sorte durch Veredelung gezielt verbreitet. Diese „natürliche Selektion“ brachte also nur Sorten hervor, die auch ohne Pflanzenschutzmittel ein gesundes Wachstum haben – zumindest in den für sie geeigneten Regionen.



Lokalsorten und ihre Verwendungen

Wurde eine Sorte durch Pfropfung vermehrt, entstand ein weiterer Baum mit den gleichen Ei­gen­schaf­ten. So verbreiteten sich Sorten zunächst lokal in einem Dorf, wie z.B. die verschiedenen ‘Seidenhemd­chen’-Äpfel. Es ergaben sich so manch­mal auch bestimmte Verwendungsarten für einzelne Sorten. So wurde für „Birnen, Bohnen und Speck“, ein typisch norddeutsches Gericht, ursprünglich die heute verschollene ‘Hamburger Speckbirne’ verwendet. Sie gehört zu den Koch­bir­nen, die erst gekocht genießbar werden.

Manche Sorten lassen sich gut lagern und sicherten früher die Vitaminversorgung bis zum nächsten Sommer. Andere Sorten waren sehr früh im Jahr reif. Und manche Äpfel wurden aufgrund ihrer leuchtend roten Farbe als Brautschmuck oder für das Weihnachtsfest als Weih­nachts­baum­schmuck genutzt.

Regionale und überregionale Sorten

Wurde eine Baumschule auf eine besonde­re Sorte aufmerksam und verbreitete die­se in einer Region, so wurde aus der Lokalsorte eine regionale oder sogar überregionale Sorte. Auch der Pomologen-Verein gab Sortenempfehlungen heraus, was zu einer über­re­gio­na­len Verbreitung führte. Kenntnisse über die Stand­ort­an­sprüche einer Sorte waren dafür die Vo­raus­setzung.

So finden sich norddeutsche Sorten auch im Allgäu (z.B. ‘Altländer Pfannkuchenapfel’ oder ‘Finkenwerder Prinzenapfel’), da sie mit den dort vorherrschenden klimatischen Bedingungen gut zurecht­kommen. Diese überregional verbrei­teten Sorten haben in manchen Regionen eigene Namen bekommen, was z.T. für Verwirrung gesorgt hat. So ist die Birnensorte ‘Köstliche von Charneux’ im Hamburger Raum als ‘Bürgermeisterbirne’ bekannt.


Köstliche von Charneux ‘Köstliche von Charneux’


Bei den Äpfeln kann sicherlich der früher weit­ver­brei­te­te ‘Prinzenapfel’ genannt werden, der viele lokale Namen trägt. Im Berliner Raum wird er als ‘Hasenkopf’, in Teilen Norddeutschlands als ‘Berliner’ bezeichnet, in Bayern, Baden und Sachsen als ‘Schlotterapfel’, in Sachsen-Anhalt als ‘Klapperapfel’.

Die Klassiker der alten Obstsorten sind überregional zu finden und gehören zu den prägenden alten Sorten. Dies sind z.B. ‘Biesterfelder Renette’, ‘Gravensteiner’, ‘Jakob Lebel’, ‘Prinz Albrecht von Preußen’, ‘Rheinischer Bohnapfel’, ‘Roter Eiserapfel’, ‘Schöner aus Boskoop’, ‘Weißer Winterglo­ckenapfel’ und der bereits erwähnte ‘Prin­zenapfel’. Bei den Birnen sind es Sorten wie die ‘Köstliche von Charneux’, ‘Williams Christbirne’ oder ‘Gräfin von Paris’.

Wie sind neuere Sortenzüchtungen zu bewerten?

Nach 1920 wurden gezielt Sorten gezüchtet. Im Westen Deutschlands war der Erwerbsobstbau die treibende Kraft, der für seine Niederstammplantagen geeignete Sorten suchte. In Ostdeutschland stand schon eher der Selbstversorgergarten im Fokus der Züchtung. Der Großteil der Sorten, die ab den 1920er Jahren weltweit für den Erwerbsobstbau gezüchtet worden sind, geht fast durchgängig auf nur sechs relativ krankheitsanfällige Sorten zurück!

Klassiker der alten ObstsortenFotos: www.baumschule-ceban.com Zu den Klassikern der alten Obstsorten, die überregional zu finden sind, gehört der ‘Prinz Albrecht von Preußen’ (o.), genau wie die Sorte ‘Jakob Lebel’ (Mitte) und ‘Gra­ven­stei­ner’ (u.).

Einige dieser Sorten wurden mehrfach in neue Sorten eingekreuzt. Darunter ist der sehr em­pfind­li­che ‘Golden Delicious’, der seine Anfälligkeit an seine „Kinder“ vererbt hat. Im Erwerbsobstbau wird den Krankheiten mit bis zu 35 Spritzungen pro Saison entgegengewirkt.

Die Züchtungen der jüngeren Vergangenheit haben immerhin die Resistenz gegen Schorf, eine Pilzkrankheit, zum Ziel. Für den ökologischen Anbau und für Direktvermarkter wurde 1984 in Tschechien z.B. die schorfresistente Sorte ‘Topaz’ gezüchtet. Heute gibt es weitere neue Sorten mit Schorfresistenz. Allerdings wurde die Resistenz in letzter Zeit durchbrochen, sodass der Pilz die Sorten befallen kann. Im Gegensatz dazu gibt es viele alte Obstsorten, die ebenfalls relativ schorfresistent sind, diese Resistenz aber nicht verlieren.


Welche Sorten sollten Gartenfreunde pflanzen?

Damit im Garten nicht mit Pflanzenschutzmitteln nachgeholfen werden muss, sollten Sie alte, robuste Sorten pflanzen. Diese sind widerstandsfähig gegen viele Obstkrankheiten. Wenn Sie darüber hinaus auch etwas für die Sortenvielfalt tun möchten, können Sie sich nach lokalen Sorten erkundigen.

Alte Sorten schmecken ganz unterschiedlich, sie sind zu unterschiedlichen Zeiten reif und halten sich unterschiedlich lange. Darüber hinaus gibt es unter den alten Apfelsorten auch welche, die Allergiker gut vertragen können.

Es haben sich in der jüngeren Vergangenheit regionale Streuobstvereine, wie z.B. der Lüneburger Streuobstwiesen e.V., gegründet, die hier Auskunft geben können. Auf regionalen Apfelfesten können die alten Sorten ggf. probiert werden, was die Auswahl erleichtert. Für bestimmte Regionen sind auch Bücher mit neuen Sortenempfehlungen herausgegeben worden. Die Bücher können z.B. über den Pomologen-Verein erworben werden. Es wäre auf jeden Fall wünschenswert, dass wieder mehr alte Sorten gepflanzt würden.

Dr. Olaf Anderßon
Biologe, Vorsitzender
des Lüneburger Streuobstwiesen e.V.,
Mitglied im Pomologen-Verein