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Neue Sorten: Tomatenzüchtung fast nur noch im Ausland
Foto: Kiepenkerl
Blickt man beim Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter auf die Website, so findet man unter den dort organisierten Unternehmen neun Gemüsezüchter. Doch die Namen helfen dem Gartenfreund nicht weiter. Kein Kiepenkerl, kein Sperli, kein Bakker, kein Flora Frey. Dabei suggerieren die Samenverpackungen eigentlich, dass es sich um Sorten genau dieser „Züchter“ handelt. Manchmal stimmt das sogar, meistens aber nicht.
Hinter den geläufigen Namen verbergen sich keine Züchter, sondern Saatguthändler, die in wenigen Fällen auch die Züchter der Sorten sind. Woher aber bekommen die Markenfirmen ihr Saatgut? Und was steckt gar drin in den Tüten von Aldi, Lidl und Co.?
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Antworten auf diese Fragen gaben uns Dr. Bernd Horneburg von der Abteilung Pflanzenzüchtung der Georg-August-Universität in Göttingen und Hanna Strotmeier, bei Kiepenkerl zuständig für den Einkauf Gemüsesamen. Unisono bestätigen beide Fachleute, dass in Deutschland kaum mehr gezüchtet wird, zumindest für den Bereich, der sich im Gartenfachhandel wiederfindet. Bei Tomaten beispielsweise züchtet kein deutsches Unternehmen mehr selbst.
Tomaten aus dem Garten KEIN Nischenprodukt
Dabei gehören Tomaten eindeutig zum wichtigsten Gemüse. Rund 15 kg werden in Deutschland pro Jahr und Person verzehrt. Davon wurden laut Food and Agriculture Organization of the United Nations, kurz FAO, 2005 rund 95% als Importware gehandelt. Die übrigen 5 % kommen nach Recherchen durch Horneburgs Arbeitsgruppe von rund 40 Millionen Pflanzen, von denen „nur“ zehn Millionen im Erwerbsgartenbau abgeerntet werden, 30 Millionen aber in Deutschlands Gärten wachsen. Dorthin gelangen sie als Jungpflanze oder nach Aussaat durch den Gartenfreund.
Preisunterschiede gewaltig
Foto: N.L. Chrestensen
Wo immer auch nur einige Sorten Gemüsesaatgut angeboten werden – die Tomate ist immer dabei. Dabei ist die Preisspanne für dieses Saatgut gewaltig, von wenigen Cent bis weit über 5 Euro reicht der Preis für die Portion, wobei – welch Paradoxon – in der Regel mehr Samen für weniger Geld zu haben sind. Grund hierfür sind die unterschiedlichen Sorten mit ihrem bestehenden Sortenschutz und der Vermehrungsfähigkeit.
Wie also funktioniert Züchtung, dass solch unterschiedliche Preise heute möglich sind? Neben ökologischer Züchtungsarbeit an der Universität Göttingen und im Kultursaat e.V. konzentriert sich die kommerzielle Züchtungsarbeit heute fast ausschließlich auf die Hybridzüchtung (Erklärung hier), so Horneburg und Strotmeier. Das ist ein aufwändiges, mehrere Jahre umfassendes Verfahren, basierend auf gezielter Kreuzung von Inzucht-Individuen, das nur sehr wenige Betriebe leisten können.
Hybridzüchtung schwächt genetische Vielfalt
Laut Horneburg führt diese Art der Züchtung zu einer enormen Verarmung der genetischen Ressourcen, da Hybridsorten sich nicht sortenecht weitervermehren lassen. Dadurch werden sie in der Praxis kaum erhalten bzw. weiterentwickelt und auch nicht in Genbanken für zukünftige Generationen erhalten.
Für seine eigene Forschung lehnt Horneburg die Hybridzüchtung daher ab. Vielmehr engagiert er sich seit vielen Jahren für den Erhalt der genetischen Ressourcen. Er entwickelt an der Georg-August-Universität traditionelle Züchtungsmethoden zum Wohle der Gartenbauer, die sich nicht von Konzernen abhängig machen wollen.
Foto: Horneburg
Praxisnahe Wissenschaft
Mehr über die Suche nach freilandtauglichen Tomaten von Dr. Bernd Horneburg und seiner Arbeitsgruppe „Ökologische Züchtung Tomate und Linse“ können Sie im Internet nachlesen (http://www.uni-goettingen.de/de/48392.html).
Per E-Mail können Sie ihn unter bhorneb@gwdg.de erreichen. Schriftlich beantwortet er auch gerne Fragen nach Verfügbarkeit und Bezugsquellen der von ihm empfohlenen Sorten.
Hobbyzüchter und Genbanken
Foto: Horneburg
Das Ausgangsmaterial für seine Arbeit bekommt er von vielen Privatleuten, Initiativen, Genbanken und auch Saatguthändlern. „Diese Menschen erhalten seit vielen Jahren Sorten, zu denen auch Erfahrungswerte vorliegen. Unter den alten Sorten sind einige zu finden, die weniger anfällig für die Kraut- und Braunfäule sind.“ Diese Pilzerkrankung, die besonders durch feuchte Witterung und schlechte Belüftung begünstigt wird, hat in den zurückliegenden Jahrzehnten mit immer neuen aggressiven Stämmen ganze Ernten vernichtet, weiß Horneburg. Das hat dazu geführt, dass sich selbst im Hobbygartenbau die Tomatenproduktion überwiegend unter Folie oder in Kleingewächshäuser zurückgezogen hat. „Doch leider nehmen auch dort die Probleme zu“, weiß der Wissenschaftler.
Natürliche Resistenzen gegen die Kraut und Braunfäule
Die Tomate im Freiland war demnach ein Problem, das gerade für den Hobbygartenbau gelöst werden musste. Feldversuche – bisher seit acht Jahren laufend – mit den vielversprechendsten Sorten und dem Ziel, durch gezieltes Kreuzen und Rückkreuzen freilandtaugliche – will heißen überwiegend braun- und krautfäuleresistente – Sorten zu finden, brachten den erhofften Erfolg.
„Heute können wir guten Gewissens einige leckere und ertragssichere Sorten empfehlen“, so Horneburg. Zu seinen Favoriten zählen derzeit u.a. ‘Rote Murmel’ und ‘Golden Currant’. Beides sind Wildsorten, die auch Kiepenkerl im Angebot hat. „Und wir können guten Gewissens sagen, dass unsere Sorten sowohl vom Geschmack als auch vom Ertrag her mit den Hybridsorten mithalten können.“
Kommerzielle Züchtung nur in Spezialbetrieben
Die gängigen Marktsorten aber entstehen eben bei den wenigen spezialisierten Züchtungsfirmen, die für die Tomaten allesamt im Ausland ansässig sind, überwiegend in Belgien, den Niederlanden und den USA. „Einmal jährlich werden wir von den Züchtern zu ihren Sichtungstagen eingeladen. Dort können wir uns die Ergebnisse der neusten Züchtungsarbeit ansehen, die Pflanzengesundheit beurteilen und den Geschmack testen“, sagt Hanna Strotmeier.
Die Sorten, die ins Sortiment passen würden, werden im darauffolgenden Jahr auf dem Kaldenhof – dem Saatzuchtzentrum und Versuchshof der Firmen Nebelung und Volmary – nochmals getestet. „Entscheiden wir uns für eine ‚Neue Sorte‘, weil uns ihre ganz besonderen Eigenschaften, wie beispielsweise die Resistenz und Widerstandsfähigkeit gegenüber Pilzkrankheiten, ihre Wuchs- und Fruchtform, ihre Fruchtfarbe und der Geschmack, überzeugen, wird der Hobbygärtner diese ‚Neue Sorte‘ unter der Firmenmarke Kiepenkerl in absehbarer Zeit kaufen können.“
Einige Sorten werden dabei ohne exklusive Vertriebsrechte ins Sortiment aufgenommen, beispielsweise alte Sorten wie eben die ‘Golden Currant’ und die ‘Rote Murmel’. Für andere Sorten sichert sich Kiepenkerl die Exklusivrechte. Das sind vielfach eben solche F1-Sorten, die schon aufgrund der aufwändigen Art der Züchtung (Hybridzüchtung) und der damit einhergehenden Saatgutgewinnung (F1) nicht frei am Markt verfügbar sein können.
Günstiges Saatgut zu Discounterpreisen
Doch stellt sich dem Gärtner beim Kauf einer Tüte Saatgut die Frage: Ist nur teures Saatgut das einzig Wahre, oder was verbirgt sich hinter den Qualitäten der angebotenen Portionen bei Aldi, Lidl und Co? „Das Angebot im Lebensmitteleinzelhandel beschränkt sich weitgehend auf Sorten, die unter viel einfacheren Bedingungen vermehrt werden und somit auch wesentlich preiswerter angeboten werden können“, sagt Strotmeier.
Die Qualität könne durchaus überzeugen. Oft aber gibt es keine genauen Sortenangaben für die dort zu bekommenden Gemüsesorten. Selbst wenn die Sorten ordentlich ausgewiesen werden, bedeutet das nicht, dass man sie im Folgejahr an gleicher Stelle wird kaufen können, dann muss der Gartenfreund suchen gehen nach „seiner Sorte“.
„Letztlich hat der Hobbygärtner die Qual der Wahl, ob er sich beispielsweise für die alte, bewährte Tomatensorte ‘Moneymaker’ oder aber für die Tomatensorte ‘Philovita’ F1 entscheidet, die zumindest uns Sortentester durch ihre Robustheit, die Widerstandsfähig gegenüber Kraut- und Braunfäule, den hohen Ertrag und den guten Geschmack überzeugt hat.“
Gitta Stahl