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Viel Lärm ums Traubenkraut

Schlagworte zu diesem Artikel:
  • Traubenkraut
  • Allergie
  • Ambrosia
  • Beifußblättriges Traubenkraut
  • Beifuß-Ambrosie
  • Am­brosia artemisiifolia
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  • Klima­wandel

Beifußblättriges Traubenkraut Alle Vorkommen des Beifußblättrigen Traubenkrauts waren kurzlebig und nur für ein Jahr zu beobachten mit Ausnahme eines Vorkommens im Hafen "Neuer Allergie-Schocker", "Dieses Kraut ist der Horror", "Ambrosia-Angriff auf Allergiker". So oder ähnlich konnte man es im Juni 2006 in den deutschen Tageszeitungen lesen. Der Hamburger Morgenpost war diese Meldung an­schei­nend besonders wichtig. Sie wid­me­te ihr eine Doppelseite und einen fetten Aufmacher auf Seite Eins. Die anderen Zeitungen zogen nach. Ihre Mitarbeiter fragten beim Bota­nischen Verein an, wie es denn in Hamburg mit dem Traubenkraut aussähe.


Informationen aus erster Hand

Der Botanische Verein führt nämlich in Zusammenarbeit mit dem Na­tur­schutz­amt Hamburg eine Kartierung aller wildwachsenden Pflan­zenarten in Hamburg durch und kann daher auch über das Traubenkraut Informationen aus erster Hand liefern. Zunächst einmal: Für Hamburg können wir Entwarnung geben. Das Traubenkraut spielt bei uns keine Rolle.

Wie sieht das Traubenkraut aus, wo kommt es her, wie kommt es nach Deutschland, und was ist das Gefährliche an dieser Pflanze?

Im Zentrum des Interesses steht vor allem das Beifußblättrige Traubenkraut. Es gibt noch zwei weitere Arten bei uns, aber die sind extrem selten.

Das Beifußblättrige Traubenkraut (auch Beifuß-Ambrosie genannt) stammt ursprünglich aus Nord­amerika und ist heute auf allen Kontinenten verbreitet. Es trägt den wissenschaftlichen Namen Am­brosia artemisiifolia, gehört zu den Korbblütlern und ist weitläufig mit dem bei uns heimischen Beifuß verwandt, der ja auch zu den Problem­pflanzen für Allergiker gehört.

Der Name Traubenkraut ist übrigens ebenso unglücklich gewählt wie der Name Ambrosia ("Göt­ter­trank") und ruft irrige Vorstellungen hervor. Die einjährige Pflanze kann bis über 1 m hoch werden. Sie hat feine, filigran zerteilte Blätter und blüht ab Juli mit unscheinbaren grünlichen Blüten. Diese Blüten werden nicht von Insekten besucht, sondern durch den Wind bestäubt. Im Herbst bilden sich mehrere tausend Samen (zwischen 3000 und 6000), die lange keimfähig bleiben.


Große Mengen an Pollen

Wie alle windbestäubten Pflanzen bildet auch das Traubenkraut große Mengen Pollen. Dieser Pollen ist besonders aggressiv und löst bei vielen Menschen nicht allein allergische Reaktionen, sondern oft auch schweres Asthma aus. In Austra­lien wird das Beifußblättrige Traubenkraut daher "Asthma Plant" genannt.

In seiner nordamerikanischen Heimat sollen 10 bis 20 % der Bevölkerung eine Allergie gegen Ambrosia-Pollen haben, und drei Viertel aller Pollenallergiker in Nord­amerika reagieren allergisch auf diese Art. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass das Beifuß­blättrige Traubenkraut die weltweit potentesten allergenen Pollen hervorbringt.

Ein Blick ins Internet zeigt den Umfang der Problematik. Gibt man bei Google den englischen Na­men der Pflanze "Ragweed" ein, erhält man Verweise auf nicht weniger als zwei Millionen Web­sei­ten, bei "Rag­weed control" (Traubenkraut-Be­kämpfung) und bei "Ragweed allergy" (Trau­ben­kraut-Al­ler­gie) zwischen 400.000 und 500.000.


Verbreitung auch in Europa

Beifußblättriges Traubenkraut in Hamburg Beifußblättriges Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia) in Hamburg 1995-2005 Lange Zeit war diese Problematik auf Nordamerika beschränkt. Seit einigen Jahren macht sich das Traubenkraut aber auch in Europa breit, und zwar vor allem in wärmeren Regionen. In Südfrankreich, in der nord­italie­ni­schen Po-Ebene und in Ungarn kommt es bereits an vielen Stellen vor, und man befürchtet, dass es sich von dort aus weiter nach Norden ausbreiten wird. Verständlich, dass Pollenallergiker in der Schweiz und in Österreich beunruhigt sind.

Dazu besteht in Hamburg jedoch kein Anlass. Das Traubenkraut ist bei uns sehr selten und tritt allenfalls spo­ra­disch auf. Eine aktuelle Ver­brei­tungs­kar­te haben wir auf dieser Seite ab­ge­druckt. Um sie richtig zu lesen, muss man wissen, dass sie einen Zeitraum von zehn Jahren umspannt und jeder Punkt in der Regel meist nur eine einzige Pflanze (selten zwei oder drei) bezeichnet, die nur in einem bestimmten Jahr gefunden wurde und im nächs­ten wieder verschwunden war.

Im Schnitt gab es drei Meldungen pro Jahr. Nur mitten im Hafen bei der Ölmühle in Neuhof ist das Traubenkraut über mehrere Jahre hintereinander beobachtet worden.


Samen kommen über Vogelfutter zu uns

Samen der Ambrosie gelangen zu uns vor allem über Vogelfutter, das ja oft eine Mischung ganz unterschiedlicher Saaten darstellt und im Gegensatz zum Handelssaatgut nicht gereinigt und von Unkrautsamen befreit zu werden braucht. Die Art wurde dementsprechend bisher auch vor allem an Vogelfut­terstellen angetroffen. Mehr noch: Eine Untersuchung von 33 Vogelfutter-Proben hat ergeben, dass in 23 von ihnen Samen der Ambrosie vorhanden waren.

Wenn die Art dennoch bisher so selten geblieben ist, dann liegt das an ihren hohen Wärmeansprü­chen. Sie keimt zwar schon im März, aber in unserem kühlen Frühjahr stagniert sie über lange Zeit und kann dann leicht von anderen Pflanzen überwuchert werden. Aus diesem Grunde findet man das Traubenkraut auch niemals in einer geschlossenen Pflanzendecke, sondern nur an offenen Stel­len: im Garten, am Wegrand, auf Brachflä­chen, und auch dort meist nur im ersten Jahr.

Nur Pflanzen, die es bis in den Ju­ni geschafft haben, können Blüten und Früchte bilden, denn dann setzt ein energisches Wachstum ein. Noch ist das Klima in Norddeutsch­land für die Einbürgerung dieser Pflanze einfach zu kühl. In der Ober­rhein­ebene mag es anders aussehen, zumal wenn - wie befürchtet - das Klima in Deutschland zukünftig allgemein wärmer und trockener wird.


Bekämpfung problematisch

Für die Bekämpfung des Beifuß­blättrigen Traubenkrautes werden in Amerika seit Jahrzehnten öf­fent­liche Mittel in mehrfacher Millionen­höhe ausgegeben. Der amerikanische Ökologe Frank Egler hat jedoch schon vor vierzig Jahren gezeigt: Man kann versuchen, das Traubenkraut Jahr für Jahr mit der chemischen Keule zu bekämpfen und es so im Zaum zu halten. Nur schafft man damit ge­nau die offenen Flächen ohne Vegetations­de­cke, die die Keimung und Ansiedlung des Trau­ben­krau­tes begünstigen.

Im nächsten Jahr ist es wieder da, und man muss erneut Herbizide versprühen. Eine Sisyphusarbeit, aber verständlicherweise eine Lösung, die von den Herstellern der Herbizide propagiert wurde. Man kann aber ebenso gut gar nichts tun und darauf warten, dass sich auf den Flächen im nächs­ten Jahr ausdauernde Arten ansiedeln, unter denen das Traubenkraut keine Chance hat hoch­zu­kom­men.

Dies ist die Lösung des aufgeklär­ten Ökologen, nur hat man sie nicht angewendet. Frank Egler hat schon damals kritisiert, dass es bei der Trau­benkraut-Bekämpfung eine seltsame Allianz von Allergikerverbänden, Auftragsforschern und Chemiefirmen gab, die von den letztgenann­ten zu ihrem Vorteil genutzt wurde.

Das Traubenkraut wurde in diesem Sommer "populär". Kein Wunder, denn es verbindet drei Themen von hohem Aufmerksamkeitswert miteinander: Pollenallergie, Klima­wandel und Invasive Pflanzen. Leider ist bei weitem nicht alles, was in der Presse und auf den Webseiten steht, seriös. So konnte man lesen, dass die Art über Flugzeuge eingeschleppt wird und oft in der Nähe von Flughäfen zu finden ist. Barer Unsinn!

Wichtig wird es sein, einen küh­len Kopf zu behalten und sich nicht von der allgemeinen Hysterie anste­cken zu lassen. Daher nochmal die gute Nachricht: In Hamburg und in ganz Norddeutschland gibt es mit dem Traubenkraut keine Probleme.

Hans-Helmut Poppendieck


Botanischer Verein zu Hamburg

Diese Artikelserie wird von Mitgliedern des Botanischen Vereins zu Hamburg e.V. geschrieben. Im Mittelpunkt stehen Wildpflanzen, die in der Stadt vorkommen: am Wegrand, an der Straße oder als unerwünschte oder geduldete Gäste im Garten. Wir wollen auf die Biologie und Geschichte dieser oft unscheinbaren Pflanzen aufmerksam machen.

Wenn Sie Anregungen oder Fragen dazu haben, würden wir uns über ­Ihre Reak­tion freuen. Sie können auch das vier­teljährlich erscheinende Veranstaltungsprogramm anfordern und an den vie­len botanischen ­Exkursionen und Vorträgen teilnehmen!

Postanschrift:
Botanischer Verein zu Hamburg e.V.
Horst Bertram
Op de Elg 19a
22393 Hamburg
Internet: www.botanischerverein.de


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