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Leben in komplizierten Verhältnissen: Blattläuse
Foto: Roßbeck Es gibt Männer und Frauen, die sich vorwiegend mit Blattläusen beschäftigen. Das wäre eine Schreckensvision für Gärtner und Gärtnerinnen. Einerseits. Zum anderen profitieren auch sie von den Ergebnissen intensiver Forschungsarbeit bezüglich Aphidina – direkt ansprechend, meinen Sie nicht auch, die wissenschaftliche Bezeichnung für die winzig kleinen Tierchen mit dem riesengroßen Appetit auf Pflanzensäfte?
Würden Blattläuse sich nicht so gern, und noch dazu in Massen (statt in Maßen), an den Lebenssäften von gehegtem und gepflegtem Grün vergreifen, dann könnten wir ihnen viel unbefangener gegenübertreten. Als Bestandteil der Nahrungskette sind Blattläuse jedoch ein durchaus wertvolles Bindeglied. Wagen wir also, Sie mit mir, zumindest hier und jetzt, den Versuch einer neutralen Annäherung.
Bekömmliches Nahrungsmittel
Für Marienkäfer sind Blattläuse das einzige bekömmliche Nahrungsmittel; eine Gallmücke namens Aphidoletes aphidimyza hat sich ebenfalls auf reine Blattlauskost eingestellt; den Magen-Darm-Trakt einer einzigen Florfliegenlarve müssen, will sie erwachsen werden, an die 500 der „Schädlinge" passieren; aber auch Schwebfliegen wären ohne Blattläuse auf dem Speiseplan ziemlich aufgeschmissen.
Mangel an dergleichen Lebendfutter herrscht so gut wie nie, dafür sorgen nicht zuletzt das enorme Vermehrungspotential und die gute Anpassungsfähigkeit der über 3000 Blattlausarten. Die Zahl zeitgleich lebender Individuen entzieht sich dem mathematischen Vorstellungsvermögen durchschnittlich trainierter Rechner.
Beliebte Leckerei: Honigtau
In die Schädlingskategorie gehören Blattläuse nur menschlicher Meinung nach. Ameisen würden sich höchst lobend, so sie könnten, über eine süße Leckerei aus der Blattlausproduktion äußern. Die Rede ist von Honigtau. Honigtau? Viel erwähnt, doch selten seiner Herkunft nach erklärt.
Um ihren Bedarf am Wachstumsmotor Stickstoff decken zu können, müssen Blattläuse sehr viel Pflanzensaft zu sich nehmen. Das führt zwangsläufig zu Überschüssen an Kohlehydraten, da Pflanzensaft im Gegensatz zum dürftigen Stickstoffangebot größtenteils aus Kohlehydraten besteht.
Zu den Kohlehydraten gehören Zuckerverbindungen, die zum Teil auch, da von den Blattläusen ungenutzt, mit dem Kot wieder ausgeschieden werden. Hernach werden sie von den Zweitkonsumenten Ameisen begierig aufgeschlabbert.
Permanente Tapetenwechsler
Blattläuse sind permanente Tapetenwechsler. Ihnen wurde der Wandertrieb sozusagen in die Gene gelegt. Korrekt ausgedrückt wechseln sie nicht Wohnungen, sondern Wirte. X-beliebige aber dürfen es nicht sein. Und winters andere als sommers.
Bezeichnungen wie Getreidelaus, Traubenkirschenlaus, Maisblattlaus, Kreuzdornlaus, Faulbaumlaus, Kartoffellaus, Apfelblattlaus, Lupinenblattlaus oder Bohnenlaus informieren über Vorlieben einzelner Arten für pflanzliche Aufenthaltsorte. Aber richten wir unser Augenmerk exemplarisch auf die höchst abwechslungsreiche Lebensgeschichte einer Grünen Pfirsichblattlaus, Myzus persicae, samt nächster Verwandtschaft.
Im Portrait: die Grüne Pfirsichblattlaus
Den Winter über sehen wir sie im Eistadium auf einem Pfirsichbaum hocken, einige haben sich auf den Bocksdorn am Bahndamm zurückgezogen. Mitte März schlüpfen die Stammmütter aus ihren Eiern.
Die Larven, kaum erkennbar und dunkelgrün, wandern, auf der Nahrungssuche, zu den Knospen. Fünf, bei ungünstiger Witterung auch mehr Wochen dauert die Entwicklung zum fortpflanzungsfähigen Tier. Zehn bis 15 Larven setzt dann eine Stammmutter ab, Larven, die schon nach maximal 16 Tagen geschlechtsreif sind.
Zwei bis vier Generationen – teils geflügelt, teils ungeflügelt – wachsen auf dem Winterwirt auf. Die Geflügelten verlassen den Pfirsichbaum im April, sie wandern ab zu Sommerwirten. Ihr Abflug führt nur bei Windstille zum Erfolg; schon 6 km/h Windgeschwindigkeit bringen Blattläuse aus dem Gleichgewicht.
Passiv aber, von kaum spürbaren Warmluftströmungen getragen, können sie große Entfernungen überwinden. So kommt es, dass sie auch weit entfernt von ihren Winterquartieren krautige Pflanzen, Kartoffeln, Rüben und etliche andere Gemüsearten besiedeln.
Auf den Sommerwirten entstehen zunächst mehrere Generationen ungeflügelter Jungfern. Je günstiger die klimatischen Bedingungen, desto effektiver ist die Vermehrung. 24 °C Tagestemperatur sind ideal, 28 °C schon zu viel des Guten. Aus einer Jungfer gehen 30 bis 35 Larven hervor, die innerhalb von acht bis elf Tagen erwachsen werden.
Ab Mitte Juni sind in Blattlauskolonien Tiere mit Flügelansätzen, Nymphen, zu entdecken, die sich bei der nächsten Häutung zu flugfähigen Morphen mausern. Den Sommer werden alle nicht überdauern.
Erst ab Mitte September ungefähr entstehen die Rückwanderer, Gynoparen genannt; sie steuern, und damit schließt sich beinahe der Jahreskreis, den artgerechten Winterwirt an, um dort ausschließlich weibliche Larven, Oviparen, hervorzubringen. Etwas später treffen auf dem Pfirsichbaum geflügelte Männchen ein, welche die mittlerweile geschlechtsreifen Oviparen befruchten.
Jedes Weibchen legt zwischen Oktober und Dezember bis zu zehn Eier ab, zunächst schimmern sie hellgrün, dann glänzend schwarz und sind (bei allem Verständnis für die Bedürfnisse von Marienkäfer & Co) leider, leider ausgesprochen frostresistent.
Brigitte Roßbeck