- Kleingartenwesen
Alte Sorten für kleine Gärten
Wie Kleingärtner Kulturgut erhalten
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Sie war der Lieblingsapfel von Kaiser Friedrich III. und gehörte Ende des 19. Jh. zu den häufigsten Sorten. Später verschwand die ‘Werdersche Wachs-Renette’ wie Hunderte andere Apfelsorten und galt jahrzehntelang als verschollen. 1998 dann die Überraschung: Kleingärtner brachten einen Apfel der Sorte zu einer Sortenbestimmung. Ein Baum hatte auf ihrer Anlage die Zeit überdauert.
„Seit 1976 wurden bis zu 80 % aller Obstgehölze im extensiven Anbau gerodet oder sind durch Witterungseinflüsse abgestorben, das ist ein dramatischer Verlust. In den Kleingärten konnten viele Apfelsorten überdauern und wurden dort wiederentdeckt, etwa der ‘Apfel aus Grünheide’, das ‘Citrinchen’, der ‘Malvasier’, die ‘Rotgestreifte Gelbe Schafsnase’ oder der ‘Englische Erdbeerapfel’“, so Dr. Hilmar Schwärzel von der Obstbauversuchsanstalt Müncheberg. „In den Kleingärten wurden die Bäume gepflegt, gedüngt und geschnitten. Oft hat schon der Großvater den Baum gepflanzt, den später die Enkel pflegen. Man hat die Bäume erhalten, weil es eine familiäre Bindung zu ihnen gab.“
Genpool für die Zukunft
75 % aller Kulturpflanzen sind bereits ausgestorben. Dabei bilden die alten Sorten einen Genpool, den die Züchter heute brauchen, um neue Sorten zu kreieren, die widerstandsfähig gegen Klimaextreme sind oder andere besondere Eigenschaften haben. Bei Äpfeln will man etwa mit alten Sorten neue Sorten züchten, die für Allergiker verträglich sind. Die Vielfalt der Nutzpflanzen, die „Agrobiodiversität“ ist entsprechend wichtig für die Ernährungssicherheit.
Foto: picture alliance/Arco Images GmbH Die Kleingärtner tragen nicht nur mit der Pflege alter Obstgehölze zum Erhalt dieser Vielfalt bei. Sie sorgen dafür, dass die Sorten auch außerhalb von Genbanken „on farm“ oder „in garden“ erhalten bleiben. „Solange ein Hobbygärtner eine Sorte anbaut und für gut befindet, hat sie ihre Daseinsberechtigung. Das ist die Überlebensgarantie für jede Sorte. Einige Tomatensorten aus unserem Sortiment, wie ‘Ildi’ oder ‘Idyll’, bauen wir nur für die Hobbygärtner an, und das sind überwiegend Kleingärtner“, so eine Sprecherin von Quedlinburger Saatgut.
Noch wichtiger ist diese Nachfrage für die Vereine,
die sich den Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt zum Ziel gesetzt haben. „Die Kleingärtner sind eine der wichtigsten Gruppen beim Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt. Gerade das Saatgut alter Sorten verliert schnell an Keimfähigkeit. Daher ist es wichtig, dass die Kleingärtner den Erhaltern das Saatgut abnehmen. Im Erwerbsanbau werden die meisten Sorten nicht genutzt, da sie z.B. ein langes Erntefenster haben, das ist für Kleingärtner aber gerade schön“, erklärt Dr. Wanda Born, Agrarökonomin von DAUCUM – Werkstatt für Biodiversität und Mitglied des Vereins zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen (VERN).
„Er gibt mehrere tausend Tomatensorten, unter denen die Kleingärtner irgendwann ihre Lieblingssorte finden, z.B. die ‘Quedlinburger Früheste Liebe’, die mittlerweile sogar auf der Roten Liste der Kulturpflanzen steht. Damit geht auch ein bestimmtes Wissen einher über die Sortenunterschiede oder darüber, woher die Pflanze kommt. Und wenn man dann diese Sorte regelmäßig anbaut, ist das ein super Beitrag zum Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt.“
Identität in der Vielfalt
Vom Erhalt der Sortenvielfalt profitieren alle, auch weil viele alte Sorten Teil der traditionellen Küche sind oder eine regionale Bedeutung haben, wie die alte Gurkensorte ‘Berliner Aal’. „Solche Sorten sind Kulturgut. Die Bilder der alten Meister hängen wir ins Museum, alte Sorten verschwinden dagegen“, ärgert sich Born. „Das Tolle ist diese wahnsinnige Geschmacks- und Formenvielfalt. Gerade bei den Äpfeln gibt es eine große Nutzungsvielfalt, es gibt Musäpfel, Lageräpfel, Mostäpfel oder die Tafeläpfel. Es ist schade, dass das Wissen darüber verloren geht.“
Auch für Hilmar Schwärzel sind die alten Sorten mehr als ein Genreservoir: „Die ‘Renette’ ist eine urdeutsche Sorte, sie ist 800 Jahre alt, das ist nationale Kulturgeschichte, das ist Gartenbaugeschichte! Wir verlieren mit solchen Sorten einen Teil unserer nationalen Identität. Die Vielfalt bei den Obstgehölzen darf nicht, wie gerade in Berlin, einer verfehlten Stadtplanung geopfert werden.“
Sören Keller, Verlag W. Wächter