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Bald Säen und Hacken auf Rezept?
Ärzte erkennen den therapeutischen Wert von Gartenarbeit
Foto: Gloszat
Die positiven Eigenschaften, die ein Garten – wissenschaftlich bewiesen – auf die Gesundheit hat, helfen selbst dann, wenn bereits das Alter oder eine Krankheit die Lebensqualität beeinträchtigen. Daher nutzen viele Kleingärtner längst ihre „grüne Oase“ auch zur Regeneration oder gar Rehabilitation.
Zunehmend aber werden Kleingärten auch geöffnet, um anderen Hilfsbedürftigen die guten Eigenschaften von Gärten und Gartenarbeit anzubieten – zur Freude von Therapeuten und Ärzten, die für Menschen mit Behinderungen, akut Leidende oder Menschen in Rehabilitationsstadien diese Gärten als „Therapiegärten“ nutzen.
Therapie im Garten – ein weit zu fassender Begriff
Schon Eltern, Erzieherinnen und Lehrer können es als Form von Therapie ansehen, wenn Kinder und Jugendliche über Aktivitäten im Garten für den Lernprozess notwendige Kräfte sammeln und motorische Fähigkeiten entwickeln. Behinderte können trotz ihrer körperlichen Schwächen am Vereinsleben teilnehmen und sich entsprechend ihrer Möglichkeiten betätigen. Singles entziehen sich durch ihre Teilnahme am Vereinsleben der tückischen und krank machenden Einsamkeit, und psychisch Kranken kann der Umgang mit Flora und Fauna wieder ins Leben zurückhelfen.
Erfahrungen aus der medizinischen Praxis
Im Rahmen des Kongresses „Zukunft Garten“, der im Juni in Koblenz stattfand, stellte Dr. Roger Schmidt vom Lurija-Institut für Rehabilitationswissenschaften und Gesundheitsforschung an der Universität Konstanz fest, dass der Aufenthalt und die Tätigkeit im Garten einen wesentlichen Anteil an der Gesundheit und am Wohlbefinden eines Menschen haben, und dies insbesondere dann, wenn mentale, soziale, psychische und auch körperliche Funktionen des Menschen gestört sind. So wirkt sich bereits der Kontrast zwischen Krankenhausaufenthalt und der Tätigkeit in einem Garten günstig auf das Wohlbefinden des Patienten aus.
Durch Licht, Luft, Temperatur, Sinnesreize und körperliche Aktivität werden die körperlichen Funktionen besser wahrgenommen, aktiviert und auch stabilisiert. Insbesondere kommt es zur Belebung der Sinne, zum Training des Sozialverhaltens, aber auch zu Selbstwirksamkeit (Vertrauen in die eigene Stärke) durch eigenes Tun.
Studie aus den Niederlanden
In einer Studie aus den Niederlanden wurde die Auswirkung des Kleingartenwesens auf die Gesundheit zum ersten Mal näher untersucht. Dabei wurden 121 Probanden in zwölf Anlagen befragt, ob sich ihre Gesundheit durch die Tätigkeit in einem Kleingarten verbessert habe.
Der Vergleich von Kleingärtnern und Nachbarn ohne Garten (gleiches Wohnumfeld) ergab, dass die Kleingärtner weniger akute gesundheitliche Beschwerden, weniger Besuche beim Arzt, aber auch weniger psychische Einschränkungen zu verzeichnen hatten und sich die Kleingärtnerei positiv auf ihre gesamte Lebensqualität auswirkt.
Die Probanden hoben hervor, dass sich die physische Aktivität während der Vegetationsperiode in ihren Gärten stark erweitert habe, was dazu führte, dass sie Dinge bewältigen konnten, mit denen sie eigentlich nicht mehr gerechnet hatten.
Anerkennung als Therapiestandort im Blickpunkt
Foto: Genenger-Hein
Vor dem Hintergrund dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse sollten wir uns fragen, ob wir Kleingärtner selbst, aber auch professionell für die Gesunderhaltung der Menschen Verantwortliche – z.B. Krankenkassen, Ärzte, Therapeuten – den Garten als Therapieort bereits ausreichend würdigen und einplanen. Dass wir bereits auf dem richtigen Weg sind, soll ein Blick auf einige der vielen Projekte bieten, die bereits mit Hilfe der Kleingärtner realisiert werden.
Park der Generationen in Baden-Württemberg
So gibt es z.B. im Verband der Kleingärtner Baden-Württemberg den „Park der Generationen“ am Seniorenheim Sinzheim, der es sich insbesondere zur Aufgabe gemacht hat, der Vereinsamung im Alter entgegenzuwirken und die Bewohner des Seniorenzentrums dauerhaft in das Gemeindeleben einzubinden. Die mit der Gründung des Seniorenzentrums im Jahre 2006 geplante Gestaltung einer Parkfläche wurde unter Mitwirkung der Kleingärtner zu dem Projekt „Park der Generationen“ weiterentwickelt.
Er umfasst heute neben dem Seniorengarten und einem speziellen Demenzgarten auch Bereiche, die gemeinsam von Senioren, Familien, Kindern, Jugendlichen und Vereinen genutzt werden können, und hat sich somit zu einem gesellschaftlichen Zentrum Sinzheims entwickelt.
Behindertengärten im Saarland
Eine Fläche zur Tierhaltung war der Grundstock für das Projekt „Behindertengärten im Saarland“. Kleingärtner und der Verein „Lebenshilfe“ schlossen sich zu einem Kooperationszentrum für Behinderte zusammen und ermöglichen es jetzt körperlich und geistig Behinderten in Neunkirchen, Natur pur in den Gärten zu erleben. Mittelpunkt der Aktivitäten ist ein Garten mit Laube, in dem sich die Behinderten beschäftigen, mit Kleingärtnern diskutieren, aber auch feiern können. Der Kleingärtnerverein „Zum Kasbruchtal“ betreibt dieses Projekt erfolgreich seit dem Jahre 1989 und trägt dazu bei, in seiner Heimatstadt behinderten Menschen notwendigen Lebensmut zu geben.
Seniorengarten im Rheinland
Im Landesverband Rheinland öffnen die Kleingärtner Mönchengladbachs gegenwärtig unter der Überschrift „Therapiegarten – ein Weg zurück ins Leben“ – ihre Anlage für Senioren des städtischen Altenheims Windberg. Auf ihrer „eigenen“ Parzelle können die Senioren feiern, aber auch gärtnern und werden zudem in die Gemeinschaft der Kleingärtner eingebunden.
Aktive Kinder in Schleswig-Holstein
Foto: Schiller
Im „Kartoffelprojekt“ im Kreisverband Lübeck wird das Interesse der Kinder schon mit dem Beginn der 3. bzw. 4. Klasse für den Erlebnisraum Kleingarten geweckt. Natur wird ihnen durch Riechen, Sehen, Fühlen, Schmecken und Hören nahegebracht, und ihre motorischen Fähigkeiten werden durch praktische Gartenarbeit geschult.
Oase für Kranke in Sachsen
Der Kleingärtnerverein „Aue“ im Landesverband Sachsen hat sich in einer Kooperation mit dem benachbarten Krankenhaus das Projekt auf die Fahne geschrieben, Patienten einen Weg in die Kleingärten zu öffnen. Dort haben sie die Möglichkeit, am Vereinsleben teilzunehmen und Natur in ihrer vollen Vielfalt zu erleben. Bereits seit Mitte der 90er Jahre funktioniert diese Kooperation und ist Teil des gesellschaftlichen Lebens in dieser Region geworden.
Frauenprojekt in Hamburg
„Gemeinsam statt einsam“ heißt das Projekt der Frauenfachberatung des Landesbundes Hamburg, das allen interessierten Frauen die Möglichkeit bietet, in einem Versuchsgarten selbst Obst und Gemüse anzubauen, zu ernten und bei gemeinsamen Mahlzeiten auch zu genießen. Die Frauen gehen damit in der Gemeinschaft einer sinnvollen Tätigkeit nach und werden gleichzeitig Teil dieser Gemeinschaft.
Gartentherapie auf Rezept
Legt man diese Leistungen des Kleingartenwesens in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft zugrunde, so müssten eigentlich die Krankenkassen die großzügigsten Sponsoren des Kleingartenwesens sein und freiwillig die materiellen Voraussetzungen schaffen, die für eine erfolgreiche Gesunderhaltung der Menschen in der Natur erforderlich sind. Dies schließt auch „Rezepte“ für die Nutzung eines Kleingartens ein, wenn Ärzte z.B. Bewegungsarmut, Einsamkeit oder gar schon Depressionen diagnostizieren.
Über gemeinsam geplante und durchgeführte Projekte von Kliniken, Krankenkassen und Kleingärtnern in Sachen „Gartentherapie“ sollte zukünftig ernsthaft nachgedacht werden, denn in einer Zeit voller Stress und Umweltbelastungen muss das Schutzgut „menschliche Gesundheit“ im Zentrum aller Bemühungen stehen.
Dr. Norbert Franke,
Vizepräsident des Landesverbandes
Berlin der Gartenfreunde