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Gärtnern in der Stadt

Schlagworte zu diesem Artikel:
  • Urban Gardening
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Oder: Viele Wege führen in den Garten


Prinzessinnengärten in BerlinFoto: Marc Clausen/Prinzessinnengärten Urban gardeners nutzen brachliegende Flächen mitten in der Großstadt. Hier die inzwischen weithin bekannten Prinzessinnengärten in Berlin.


Seit alters her sehnen wir Menschen uns nach der Natur und dem Garten. Vermutlich haben schon in grauer Vorzeit Menschen neben ihren Behausungen Pflanzen für ihre Ernährung angebaut. Diese Sehnsucht nach angenehmer und ansprechender, nahrungsspendender Umgebung hat uns bis heute nicht verlassen. Im Gegenteil: Sie ist immer stärker geworden und lebt heute in un­ter­schied­lichs­ten Formen wieder neu auf.

Was sind die Gründe hierfür? Die Bevölkerung unserer Städte unterliegt ständigem Wandel. Sie ist heute multikulturell und heterogen, es gibt privilegierte und weniger privilegierte Teile, der so­zia­le Wandel vollzieht sich relativ rasch. Dies führt dazu, dass sich die Attraktivität von Stadt­quar­tie­ren verändert.

In einer 2010 von der Hamburger Baumschule Lorenz von Ehren initiierten und von dem Forsa-Institut durchgeführten repräsentativen Umfrage rangierte bei der Wohnungsqualität ein hoher Grünanteil bei 91 % der Befragten an erster Stelle. Die Schaffung neuer Grünflächen auch an unkonventionellen Orten wurde von 48 % für wünschenswert angesehen.

In einem Symposium in Rahmen der Expo 2000 mit dem Thema „Die Welt als Garten“ führte Frie­dens­reich Hundertwas­ser u.a. aus: „Die Sehnsucht des Menschen nach einem Leben in Harmonie und mit der Natur und der individuell gestalteten Umwelt ist sehr groß (...) Was wir jedoch dringend be­nö­ti­gen, sind Schönheitshindernisse. Diese Schönheitshindernisse bestehen aus nicht reglementierten Unregelmäßigkeiten, und diese nicht reglementierten Unregelmäßigkeiten entstehen entweder aus Spontanvegetation oder aus der Kreativität des Einzelnen. Beides sind Schöpfungen, die sich gegenseitig ergänzen.“


Gärtnern ist vielfältig!

In der Überschrift zu diesem Artikel sind zwei, wie ich meine, wesentliche Punkte genannt: das Gärtnern und der Garten. Gärtnern können wir an unterschiedlichsten Orten und auf un­ter­schied­lichs­te Art und Weise. Der Garten ist seit alters her ein umfriedeter und damit geschützter Bereich, der auch empfindliche Pflanzen beherbergen kann, egal ob als Mietergarten, Schulgarten, Ta­fel­gar­ten, Grabelandgarten, Internationaler Garten, Mehrgene­rationengarten oder Gemeinschafts­garten.

Aus dem Wort Garten ist die Tätigkeit des Gärtnerns abgeleitet. Zwei in den letz­ten Jahren ent­stan­dene Formen sollen kurz beschrieben und erläutert werden.

Aus Amerika kommt das „Guerilla Gardening“, also das „Gärtnern im Untergrund“, es fasst bei uns immer mehr Fuß. Gartenaktivisten verstreuen Lehmkapseln mit Saatgut auf brachliegenden Flä­chen. Das belebt und nutzt Bereiche, die sonst oft als Schmuddelecken übrig bleiben.

Neuerdings werden diese Brachflächen aber auch zum Anbau von Gemüse und anderen Nutz­pflan­zen besetzt. Das ist vielleicht nicht ganz legal, zeigt aber ein breites öffentliches Interesse am Gärtnern. Natürlich besteht immer das Risiko, dass die Fläche von einer Minute zur an­deren mit anderen Nutzungen belegt wird.

In einigen Großstädten unseres Landes freut sich die Aktion „meine ernte“ über einen großen Zulauf. „meine ernte“ übernimmt von einem Landwirt ein Stück Acker und teilt die Fläche in Parzellen mit Größen von 45 oder 85 m² auf. Der Bauer bepflanzt diese Parzellen mit Gemü­se und Kräutern, und diese können dann für die Gartensaison gemietet, gepflegt und geerntet werden. Ein kleiner Bereich kann individuell bepflanzt werden. Die Miete für 45 m² beträgt 179 Euro pro Sai­son, für 85 m² sind es 329 Euro.

Beide Beispiele zeigen, dass in unserer Bevölkerung ein großes Interesse am Gärtnern besteht und viele neue Möglichkeiten ausprobiert werden.


Junge Leu­te gärtnern Die neuen Gartenformen in den Städten sprechen junge Leu­te besonders an, die bei der Pflege der Ge­mü­se­kul­tu­ren das Gärtnern kennenlernen.


Kleingärten bleiben aktuell

Die unterschiedlichen Gartenformen werden in Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung unserer Städte diskutiert. Sie wer­den ebenso wie schon die ökologische Bewegung in der Vergangenheit Auswirkungen auf unsere Kleingärten haben. Al­le Gartenformen drücken den Wunsch aus zu gestalten, zu säen und zu ernten, sich in der frischen Luft zu bewegen und mit der Natur und den Pflanzen zu beschäftigen.

Müssen und können wir die Interessen aller dieser Gruppierungen und Gruppen vertreten? Die Antwort hierauf kann nur ein eindeutiges NEIN sein. Eine derartige Absicht wäre anmaßend und würde uns überfordern. Andererseits verfügen wir Kleingärtnerinnen und Kleingärtner über das Wissen, die Kompetenz und die Verläss­lichkeit – auch gegenüber der Politik und den Verwaltungen –, um zum Thema Garten und Gärtnern den Anforderungen der Meinungsführerschaft gerecht zu werden.

Ersetzen diese Gartenformen unseren Kleingarten? Wird hier eine Konkurrenz aufgebaut? Werden unsere Gartenmitglieder abgeworben? Die Antwort auf diese Fragen ist in allen Fällen wieder ein deutliches NEIN.

Alle Interessenten am Gärtnern sind mögliche neue Kleingärtner. Für einen Bewohner einer Mietwohnung ohne Balkon kann schon die Pflege von Küchenkräutern auf der Fensterbank mit Problemen verbunden sein. Und wer einen Balkon hat, dem genügen möglicherweise ein paar Tomaten, Paprika und Kräutern noch nicht für sein „Grünes Paradies“. Also wird eine andere Möglichkeit zum Gärtnern gesucht.

Und jetzt kommt unser Kleingarten ins Spiel. Das „Guerilla Gardening“ ist zwar aufregend, aber in den meisten Fällen nicht nachhaltig für eine Familie nutzbar. „meine ernte“ legt die Mieter der Flächen hinsichtlich des Pflanzenangebotes fest und ist bei einer näheren Betrachtung der Kosten oft teurer als ein Kleingarten. Sicher muss ein Kleingarten für den Wert übernommen werden, der nach sozialen Gesichtspunkten für Laube, Einrichtung und Aufwuchs ermitteltet wurde. Ist dies jedoch geschehen, kann man ihn, solange man möchte, pachten.

 

Wir sind Partner für alle

Kleingartenanlagen bilden das Herzstück der Grünstrukturen in unseren Städten und Gemeinden. Sie genießen den Schutz des Bundeskleingartengesetzes. Sie bereichern das kulturelle und gesellschaftliche Leben. Die Fachberatung kann von allen Bürgerinnen und Bürgern in Anspruch genommen werden. Dies sind Pfunde, mit denen wir wuchern müssen.

In allen Fragen des Gärtnerns sind wir Kleingärtnerinnen und Kleingärtner zu Hause. Unsere Kleingartenanlagen werden oft liebevoller und fachgerechter ge­pflegt als anderes öffentliches Grün. Wir bilden die Heimat für unterschiedliche sozialpolitische, naturschützerische und ge­ne­ra­tions­über­grei­fen­de Projekte. Unser gemeinsames Wissen um diese Projekte und deren ge­samt­städti­sche Zusammenhänge ist riesig.

Lasst es uns in die Städte und Gemeinden hineintragen, und lasst uns ohne Angst, aber sachlich, fachlich fundiert mit allen Gartenformen und Spielarten des Gärtners auseinandersetzen! So dokumentieren wir unsere Kompetenz. Wir werden ernst genommen und so zu einen un­ver­zicht­ba­ren Bestandteil der Städte und Gemein­den und deren Erscheinungsbild.

Wilhelm Spieß
Vorsitzender des Landesverbandes
Westfalen und Lippe der Kleingärtner