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Von der Ernährungssicherung zum Freizeitgarten: Die Gartenkultur im Wandel

Schlagworte zu diesem Artikel:
  • Ernährung
  • Freizeitgarten
  • Gartenkultur
  • Selbstversorgung
  • Er­holung
  • Ökologie
  • Sortenvielfalt
  • Gartengestaltung
  • Umweltbewusstsein

Früher: Obst- und Gemüseanbau für die Versorgung der Menschen


Gartenzwerge früher und heuteFoto: Breder Früher waren Gartenzwerge mit einer Schubkarre beliebt, heute haben sie auch schon einmal ein Messer im Rücken Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stieg die Bevölkerung in den Städten extrem an, was zu mangelnder Ver­sor­gung führte. Deshalb wurden auf Anregung des Land­gra­fen Carl von Hessen (1806) parzellierte Gärten mit einer Grundfläche von ca. 400 m² ausgewiesen. Da­durch sollte eine preiswerte Versorgung mit Gemüse und Obst garantiert werden.

An der Schlei (Schleswig-Holstein) und in anderen Teilen des Landes entstanden solche Flächen, die für uns Gartenfreunde bekann­teren in Leipzig. Auf Ini­ti­a­ti­ve des Lehrers Heinrich Karl Gesell entstanden sogenannte Fa­milienbeete in der Nähe des Schre­berplatzes (1869), eines Platzes für Bewegungsspiele.


Gartenwissen gepaart mit Gartenzwergkultur

Hundert Jahre vorher (1750) waren die ersten Objekte zur „Verschönerung“ der damaligen Barockgärten ent­stan­den, das war die Geburtsstunde des Gar­ten­zwer­ges. Die kaiserliche Hofmanufaktur in Wien erstellte einfache Exemplare aus Ton.

Eine deutliche Verbreitung von Gartenzwerg & Co. setzte im 19. Jahrhundert zunächst im deutsch­spra­chi­gen Raum ein – erst in kleinbürgerlichen Vorgärten, dann aber auch schnell bei den Gar­ten­freun­den (Mitte des 20. Jahrhunderts).

Sobald es technisch möglich war, ersetzte man den Werkstoff Ton durch Kunststoff. Die klassischen Motive, Zwerg mit Spitzhacke, Schaufel, Schubkarre oder Laterne, wurden zu beliebten Objekten im Kleingarten.

Ganze Generationen von Kindern wuchsen, gerade nach dem zweiten Weltkrieg, zwischen Son­nen­blu­men und Gartenzwergen auf, versehen mit dem Wissen der jahreszeitlichen Abläufe im Garten.


Heute: „Öko-“ oder „Plastikgarten“?

Eine neue Situation: Während in den Wirtschaftswunderjahren noch an das unbegrenzte Wachstum geglaubt wurde, wörtlich genommen auch im Gemüseanbau durch Einsatz von möglichst viel Mi­ne­ral­dün­ger, stellt sich der Freizeitraum Garten bei den Nutzern heu­te anders dar.

Zeitgleich hat sich auch der Gar­tenzwerg verändert, man sieht ihn auf den Bauch liegend mit dem Messer im Rücken, oder selbst als Modell mit Stinkefinger ist er anzutreffen.

Die Nutzung der Kleingärten hat sich verändert, oft zeigt sich auf ei­nen Blick, ob sich ein Pächter für „Öko“ oder für einen Garten mit viel künstlichen Materialien entschieden hat.

Während früher die Nutzung der Parzelle durch Obst- und Ge­müse­anbau im Vordergrund stand, ist heute der Garten ein Refugium zur „Entschleunigung“ der Be­rufs­tätigen. Er gibt den gestressten Stadtmenschen die Möglichkeit zur Er­holung und Selbstbestimmung und zeigt den Kindern, wie unsere Grund­nahrungsmittel heranwachsen.


Wieder ein Bewusstsein für die Natur schaffen

Kinder im GartenFoto: Breder Für Kinder ist der Garten ein geeigneter Ort, um ein gesundes Bewusstsein für die Natur zu entwickeln, und sie lernen, wie unser Obst und Gemüse heranwächst. Erdbeeren naschen ist dabei erlaubt. Was zu Großmutters Zeiten noch üblich war, ist heute nicht mehr selbst­ver­ständ­lich. Das Wissen um den Garten sollte wieder zur Normalität gehören.

Wer den Garten in seinem Zyklus kennt, wird auch schon als junger Gar­ten­freund seine Umwelt anders wahr­neh­men und ein gesundes Bewusstsein für Pflanzen, Mensch und Tier entwickeln. Es gibt kein besseres Medium zum Verständnis vom Haushalt der Natur – der Ökologie – als den Garten.


Tiefkühlkost und Preisvorteile

In den Wirtschaftswunderjahren be­gan­nen viele, sich den damaligen Errungenschaften zuzuwenden, und – nur als Beispiel – den uns bekannten Spinat tiefgekühlt zu kaufen, weil es doch so viel einfacher ist, als diesen selbst zu verarbeiten. Wenn allerdings das fertige Produkt in den Vordergrund rückt und die eigentliche Pflanze vergessen wird, wirft das viele Fragen auf. Wie gehen wir in unserer Gesellschaft mit der eigentlichen Wertschöpfung der Na­turkreisläufe um?

Wer allerdings im Supermarkt Obst und Gemüse so günstig wie nie zuvor erhält, wird sich im Moment des Kaufens selten diese Fragen stellen. Hierbei geht es meistens ausschließlich um Preisvorteile. Erst Lebensmittelskandale haben den Blick für Produkte aus dem eigenen Garten erneut verändert, und der Anstieg der Ar­beitslosigkeit sorgt wieder für In­teresse an eigenem Obst und Ge­müse.


Sortenvielfalt wiederbelebt

Positiv bei diesen Veränderungen ist zu bewerten, wie schnell einige gesellschaftliche Grup­pie­run­gen, dazu gehören wir Gartenfreunde, sich mit den mäßigen Sortenangeboten der Supermärkte nicht begnügen und nach Gemüse und Obst verlangen, die regional und traditionell von Interesse sind. Somit tragen wir Gartenfreunde nachweislich dazu bei, dass es mittlerweile wieder Saatgut im Handel gibt, welches schon in Vergessenheit geraten war.


Kreativ gestaltete, natur­nahe Gärten erwünscht

Auch die Außendarstellung der ein­zelnen Pächter oder ganzer Kleingartenanlagen verändert sich. Wo es früher ausschließlich darum ging, alles ordentlich und wohl­geordnet erscheinen zu lassen, wird heute die kreative Gestaltungsform bevorzugt:

  • Blumenwiesen statt Rasenversiegelung,
  • Einsatz von Naturmaterialien wie Häckselgut für Wegebau statt Versiegelung durch Betonplatten,
  • Anbau von Kräutern statt einjähriger Sommerblumen, die nicht immer interessant für Wild­bienen sind,
  • Anlage von Totholzhaufen als Re­fugium von Nützlingen im Garten.

Diese kleine Aufzählung von positiven Beispielen lässt sich natürlich noch beliebig verlängern.
Dagegen finden sich auch negative Entwicklungen. Hier sei beispielhaft auf gefärbtes Häckselgut als Mulchmaterial hingewiesen. Wie viel sinnvoller wäre es doch, stattdessen mit einer bunten Staudenvielfalt zu glänzen?

Auch keinen schönen Anblick bieten Gärten, bei denen neben Plastikmöbeln, Plastikblumen und Plastikspielzeug kaum noch etwas anderes Platz hat. Oder wenn Zierrasen und Nadelgehölze den Garten dominieren! Dagegen ist es schon erfreulich, wenn Vogelhäuser, kunstvoll aus Holz ge­fer­tigt, als „Villen“ für unsere gefiederten Freunde verkauft werden.


Kleingärtnerische Nutzung fördert Ökologie in der Stadt

Betrachtet man diese Veränderungen in der Nutzung unserer Gärten, sind wir als Gartenfreunde (egal ob Pächter oder Funktionär) angehalten, die Bedeutung der Kleingärten unter Be­rück­sich­ti­gung der Bedürfnisse von Umwelt und Natur zu pflegen und zu propagieren.

Schließlich geht es nicht nur um die eigene Parzelle. Wir Gartenfreunde stehen für den Erhalt von Artenreichtum an Pflanzen und Tieren. Dass Kleingartenan­lagen für die Stadtökologie von großem Nutzen sind, sollte mittlerweile allen Beteiligten bewusst sein.

Hartmut Clemen,
Landesfachberater des Landesverbandes
der Gartenfreunde Bremen e.V.