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Kleingärten – für dich, für mich, für alle

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David gegen GoliathFoto: Breder „David gegen Goliath“ könnte hier die Bildunterschrift lauten. Kleingärten in Großstädten sind Refugien für Mensch und Natur, sie sorgen für frische Luft und bieten Möglichkeiten für soziale Kontakte. Die Diskussion um den Nutzwert der Kleingärten ist so alt wie das Klein­gar­ten­we­sen. Die Armengärten, die Arbeitergärten des Ro­ten Kreuzes und die kleinen Gärten, die Industrielle ihren Arbeitern um die Wende des vorigen Jahrhunderts zur Verfügung stellten, hatten ihren Wert für den Nutzer insbesondere im Ertrag von Obst und Gemüse. Der schmale Küchenzettel wurde deutlich erweitert. Die Nahrungsmittel aus dem eigenen Garten waren für viele Familien überlebenswichtig.

Hinzu kam die Erholung in der freien Natur, ein unschätzbarer Ge­sund­heits­fak­tor bei den für uns heute kaum vorstellbaren Wohnverhältnissen in Hinterhöfen und Kel­ler­be­hau­sun­gen.

Mit der Veränderung der Lebens­umstände, der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rah­men­be­din­gun­gen veränderte sich auch das Kleingartenwesen.

In den Hungerjahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bestimmten noch einmal die Ern­te­er­trä­ge den Nutzwert des Kleingar­tens, um dann aber in der wachsenden Wohlstandsgesellschaft anderen Kriterien zu weichen. Er­holungs- und Freizeitwert wurden mehr und mehr der Maßstab für den kleingärtnerischen Nutzen.


Vom Spießer-Garten zum Kulturgut

Dabei standen die Gartenfreunde plötzlich am Rand der Gesellschaft. Spießer, Giftspritzer, Eigen­brötler, die nur ihre Privilegien verteidigen, waren nicht selten zu hörende und zu lesende Attacken gegen das Kleingartenwesen. Die grünen Inseln in den Städten mit ihren „stummen“ Nutzern passten nicht in den Mainstream „größer, höher, schneller“.

Doch dann kam die „grüne Wende“. Ökologie, Naturressourcen und Biodiversität waren plötzlich keine inhaltsleeren Fremdworte mehr. Der Klimawandel mit seinen Folgen wurde zur realen Be­droh­ung, und der Blick auf das Kleingartenwesen veränderte sich. Ganz allmählich wurde in der Gesellschaft, aber auch in der Politik der Wert dieses einmaligen Kulturgutes erkannt. Das Klein­gar­ten­we­sen, aus bitterer Armut der Arbeiterklasse geboren, entwickelte sich zu gesellschaftlicher Stärke.

Heute nehmen wir Gartenfreunde in vielfältiger Weise Aufgaben in der Gesellschaft wahr, die die Kommune nur sehr schwer und mit hohem finanziellem Aufwand erbringen könnte. Ich nenne hier nur die Stichworte Integration, Stadtklima, Biodiversität, Gesundheitsvorsorge, soziale Stadt.


Erfolgreiche Integration von Migranten

In den rund eine Million Kleingärten der Republik gärtnern ungefähr 7,5 % Kleingärtner mit Mi­gra­tions­hin­ter­grund, das sind 75.000 Klein­gärtnerfamilien aus 80 Nationen. 12 % der Neu­ver­pach­tun­gen der vergangenen Jahre gingen an Bürger mit Migrationshintergrund (Quellenangabe siehe Kasten). Dieser Anteil wird steigen.

Es hat bisher lautlos geklappt, die zugewanderten Mitbürger in die Gartengemeinschaft zu in­te­grie­ren. Das wird auch weiterhin so sein. Keine aufwändigen Programme waren nötig, um Tau­sen­de aus anderen Kulturkreisen in die Gartengemeinschaften und so in die Gesellschaft ein­zu­glie­dern und einzubinden.


Frische Luft für die Innenstadt


Frische Luft für die InnenstadtFoto: Wagner/BDG

Es ist nicht mehr zu bestreiten: Die Lebensbedingungen in urbanen Ballungsgebieten werden stark durch das Stadtklima beeinflusst. Heiße Sommernächte in den Städten werden zunehmen und einer alternden Gesellschaft zu schaffen machen. Kleingärten als Belüftungsschneisen in den Innenstädten, vernetzt mit anderen öffentlichen Grünanlagen, werden zu unverzichtbaren Tem­pe­ra­tur­reg­lern. 2 °C mehr oder weniger in den Häuserschluchten werden zum wirksamen Ge­sund­heits­fak­tor.

 

Refugium für viele Pflanzen- und Tierarten

Wir klagen zu Recht über die massive Reduzierung der Artenvielfalt bei Flora und Fauna. Viele Obst- und Gemüsearten und -sorten sind schon heute unseren Enkelkindern fremd. Die Pflanzen- und Tierwelt in den Städten verarmt. Das Wissen um natürliche Lebensabläufe wird bei den heranwachsenden Generationen immer dünner. Der Gesellschaft droht ihre Zukunftsfähigkeit abhanden zu kommen.

In diesem Szenario sind unsere Kleingärten geradezu paradiesische Inseln. Eine bundesweite Un­tersuchung der Hochschule Kassel in den Jahren 2003 bis 2008 orte­te die Kleingärten als Arche Noah: 2094 Kulturpflanzenarten aus 170 Pflanzenfamilien wurden gefunden. Kleingärten weisen zudem eine signifikant höhere Pflanzenvielfalt auf als andere urbane Grünflächen wie etwa Stadt­parks. Eine Untersuchung aus Sachsen-An­halt ergab, dass auf 100 m2 Klein­gartenfläche mehr als 22 Pflan­zenarten, auf 100 m2 Stadtparkflä­che dagegen nur 0,5 Pflanzenarten gedeihen. (Quellenangabe sie­he Kasten.)


Gartengemeinschaft als Freundeskreis

Zu all diesen positiven Aspekten kommt ein unschätzbarer Nutzwert der Kleingärtnerei in Bezug auf die Folgen einer alternden Ge­­sellschaft und des sozialen Zusam­menhalts. Die Gartengemein­schaf­ten sind Heimstatt und Freundeskreis. Sie sind der Gegenpol zur Anonymität der Großstadt. Das gemeinsame Hobby verbindet, und die Gartenarbeit an frischer Luft fördert die Gesundheit. Das selbst gezogene Obst und Gemüse ist nicht nur unbelastet, es ist Lohn für sinnvolle Arbeit.

Man fühlt sich wohl, man ist als Rentner oder Arbeitsloser, als Alleinerziehender oder er­ho­lungs­su­chen­de Familie, mit oder ohne Kinder, als Handwerker oder Werksleiter, ganz gleich welcher Nationalität oder Religionsgemein­schaft angehörend, ein gleichwertiges Mitglied in der großen Gemeinschaft der Gartenfreunde. Hier erfolgt nicht Ausgrenzung, sondern Einhegung.

Weitere Positivfaktoren mit gro­ßem gesellschaftlichem Nutzwert sind die vielen Kooperationen, die Kleingärtnervereine vor Ort mit Schulen und Kindertagesstätten treffen, sowie Partner- und Patenschaften mit Seniorenheimen.


Appell: Grüne Edelsteine schützen und bewahren

Appell: Grüne Edelsteine schützen und bewahrenFoto: Breder Gartenarbeit hält fit und ermöglicht die Ernte von gesundem Gemüse Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts haben die Kleingärtner sich or­ga­ni­sa­to­risch zusammengeschlossen, um ihre kleinen Paradiese gegen Land­spe­ku­lan­ten und die Willkür der Generalpächter, die Vorläufer der heutigen „Heu­schre­cken“ zu verteidigen.

Der Kampf war erfolgreich. Von den Armengärten und den Bretterbuden am Rand der Stadt bis zu den heutigen Kleingärten war es zwar ein langer, oft dorniger Weg, heute und insbesondere mit Blick auf die Zukunft sind die Klein­gär­ten aber soziale und ökologische Edelsteine für die Stadtentwicklung. Ihr gesellschaftlicher Wert, ihre soziale und ökologische Rendite für die Stadt ist unvergleichlich höher als die relativ bescheidenen Euro-Erträge, die Kommunen mit dem Verkauf kleingärtnerisch genutzter Flächen erzielen können.

Deshalb hier mein Appell an alle Politikerinnen und Politiker, die auf Bundes-, Lan­des- und Kom­mu­nal­ebene Verantwortung tragen: Wenn Sie Ihre Aufgaben ernst nehmen und sich einer nach­hal­ti­gen Stadtentwicklung verpflichtet fühlen, können Sie nicht weiter dem Verkauf und der Um­wid­mung kleingärtnerisch genutzter Flächen tatenlos zusehen oder dieses gar aktiv mitbetreiben.

Ich bitte Sie, dort wo Bedarf gegeben ist, aber auch dort, wo Bevölkerungsschwund das Stadtbild prägt, sich mit aller Kraft für die Weiterentwicklung des Kleingartenwesens einzusetzen, denn nichts bringt mehr Stadtrendite als diese grünen Edelsteine:

Kleingärten für dich, für mich, für alle – ihr Wert für die Gesellschaft ist unbezahlbar!

Peter Ehrenberg,
Präsident des Landesverbandes Berlin
der Gartenfreunde

Quellen:

  • Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Studie „Städtebauliche, ökologische und soziale Bedeutung des Kleingartenwesens“, 2008
  • Bundesverband Deutscher Gartenfreunde (BDG): Integrationsstudie „Miteinander leben“, 2006
  • BDG: Studie „Artenvielfalt – Biodiversität der ­Kulturpflanzen in Klein­gärten“, 2008