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Migranten in die Vorstandsarbeit einbeziehen

Schlagworte zu diesem Artikel:
  • Migranten
  • Vorstandsarbeit
  • Integration
  • Vereinsleben
  • Schulungen
  • Ehrenamt
  • Gemeinschaftsarbeit

Integrationsbeauftragte im KGV DüvelsbrookFoto: Roemer Rudolf Haas (vorne links) und Alexei Mehlhaff (vorne rechts) wurden 2008 zu Integrationsbeauftragten im KGV Düvelsbrook ernannt Selbst Google muss passen. Das ge­wünsch­te Ergebnis – Migranten in Vorständen von Kleingärtnervereinen – fehlt in der so treffsicheren In­ter­net­such­ma­schi­ne. Vorstandsarbeit scheint auch in unseren über 15.000 Vereinen nach wie vor fest in deutscher Hand zu sein.


Mitglieder mit Migrationshintergrund nehmen zu

Migranten als Oberbegriff schließt Ausländer (im rechtlichen Sinne) und eingebürgerte deutsche Staats­an­ge­höri­ge und Aussiedler ein. Nach dem Fall des eisernen Vorhangs hat die Zahl dieser Mitglieder stark zu­ge­nom­men, erreicht in Vereinen einen Anteil von bis zu 30 %, manchmal noch darüber.

Da sollte man annehmen, dass diese Mitglieder auch verstärkt in die Vorstände drängen. Doch das Gegenteil trifft zu. Wir be­klagen, dass ihre Integration in das Vereinsleben schwierig ist und sie nicht ausreichend Verantwortung in den Vereinen übernehmen. Den­noch gibt es erste Bei­spie­le.


Sprachkenntnisse sind Voraussetzung

Über Mehmet Gümüs berichtete die Neue Ruhr-Zeitung/Neue Rhein-Zeitung. Gümüs hatte 2008 den Vorsitz im Kleingärtnerverein „Blüh auf“ in Duisburg übernommen. „Meh­met spricht wun­der­bar deutsch“, bescheinigt ihm sein Gar­tenfreund Heinz Meskath. „Aber die Satzung des Klein­gar­tens musste er erst lesen und verstehen lernen, und auch wie er seinen Mitgliedern die deut­schen Regelgepflogenheiten beibringt, z.B die Ruhezeiten.“ Diese Hürde können oder wol­len viele Migranten nicht nehmen.


Spezielle Schulung für Migranten

Wenn wir von Migranten Vorstands­arbeit erwarten, müssen wir sie schulen. Demokratische Grundregeln, unsere Grundrechte und in Grundzügen das Bürgerliche Gesetzbuch gehören dazu, wenn Kenntnisse über Vereins- und Pachtrecht, über Kassenführung oder über den Betrieb eines bewirtschafteten Vereinshauses ver­mittelt werden sollen.

Spezielle Einsteigerseminare sind eine Möglichkeit, die wir in Zusammenarbeit mit den örtlichen Volkshochschulen veranstalten können. So bietet beispielsweise das Projekt MIGELOS in Köln, eine Vereinigung von russischsprachigen Eltern, Kurse an, um angehenden „Migranten-Eltern-Lotsen“ die Kenntnisse in Vereinsgründung und -führung zu vermitteln.


Keine vergleichbaren Strukturen in der Heimat

Deutschland ist das Land der Vereine. Das Ehrenamt ist der Kitt un­serer Gesellschaft, sagen viele Politiker. In Deutschland hält dieser Kitt. 2005 gab es fast 600.000 Vereine. Etwa 60 % der 80 Mil­lio­nen Bundesbürger sind Mitglied in einem Verein. Jeder Dritte arbei­tet ehrenamtlich.

Im Vergleich dazu sind in Russland von 145 Millionen Menschen keine 10 % in Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen (NGOs) vereint. Viele wissen nichts von diesen Organisationen. Keine günstige Voraus­setzung für das Ehrenamt.


Argwöhnisch betrachtet

Auch die öffentliche Debatte über Migrantenorganisationen mag die Einbindung von Migranten in unsere Vorstände erschweren. Ihre Heimat- und Kulturvereine und religiösen Organisationen werden kritisch betrachtet, in die Kategorie „Parallelgesellschaft“ gesteckt. Erst mit dem In­te­gra­tions­gip­fel 2006 wurden einige dieser Organisationen als Dialogpartner auf Augenhöhe an­er­kannt. Viele von ihnen engagieren sich selbst in Politik und Gesellschaft und setzen sich für die Integration ein.


Das Interesse mehren

Nach Internetrecherchen gibt es 179 deutsch-russische Vereine, in den Bereichen Lands­mann­schaf­ten, Kultur, Wirtschaft und Sport, für Kinder und Jugendliche. Auch Vereine für Au­to­mo­bil­fans, für Kat­zenliebhaber und sogar für Angler sind bereits eingetragen.

Das wachsende Angebot bietet Chancen auch für das Kleingartenwesen. Wenn immer mehr Migranten lernen, die Vorteile der Vereine und der Selbstverwaltung für ihre privaten Interessen und ihr gesellschaftspolitisches Engagement zu nutzen, dann wird auch die Bereitschaft zu­neh­men, in un­seren Vereinen mitzuwirken. Mit Hilfe der Integrations- oder Ausländerbeauftragten in unseren Kommunen können wir hier aktiv unterstützen.


Hürden überwinden

Gartenfeste schaffen VertrauenFoto: Zuleia Gartenfeste schaffen Vertrauen: internationales Sommerfest im KGV Deutsche Scholle in Osnabrück Solange Bedenken gegen die Aufnahme von Migranten in Vereine als Mitglieder bestehen, kann auch ihre Wahl in den Vorstand auf Vorbehalte stoßen. Das ging vielleicht auch Yasar Pàlabiyikaus aus Hamburg-Wil­helms­burg so. Seine Gartenmitglieder mussten erst sehen, dass er die Regeln genauso anwendet wie seine deutschen Kolle­ginnen und Kol­le­gen, dass er eben­so mit Augenmaß und Toleranz sei­ne Aufgaben ausübt. Das befolgt er beim Bun­des­klein­gar­ten­ge­setz kon­se­quent. Spielräume ge­währt er z.B. bei der Hecken­höhe.

Für viele Berliner Gartenfreunde sind Mi­gran­ten im Kleingarten ein recht junges Thema. Erst nach der Wende kamen sie verstärkt in die Kolonien. Mehmet Alkan war dann der erste Migrant, der in Berlin, im Weddinger Kleingärtnerver­ein (KGV) Scherbeneck, die Funktion des ersten Vorsitzenden über­nahm. Wolfgang Dippold berichte­te der Berliner Zeitung über seine Zufriedenheit mit seinem türkischen Vorsitzenden. Dieser sei ru­hig, aber beharrlich und nicht gar so streng. Das weiß er zu schät­zen.

Im niedersächsischen Lüneburg muss Waldemar Schmidt als zweiter Vorsitzender des KGV Ilmenau seine Rolle im Vorstand noch finden. Vor achtzehn Jahren kam er aus Kasachstan nach Deutschland. Für das Sofa fühlt er sich viel zu jung, und so organisiert der Vogelfreund jetzt im Verein insbesondere die Gemeinschaftsarbeit.

Ein paar Kilometer weiter, im KGV Düvelsbrook, ernannte der Vorstand 2009 Rudolf Haas und Alexei Mehlhaff zu Integrationsbeauftragten mit der Aufgabe, eine Brücke zwischen dem Vorstand und den Mitgliedern, vor al­lem deutsch-russischer Herkunft, zu bilden. Auch hier wurde die Ak­zep­tanz aller Mitglieder nicht sofort erreicht.


Der Weg in die Normalität

Wir werden und wollen die Entwicklung nicht aufhalten. Der zunehmende Anteil von Migranten in den Kleingärten hat positiv zu ei­nem Abbau von Leerstand in Klein­gartenanlagen und zu einer Verjüngung der Mitglieder und ih­rer Angehörigen geführt. Das wach­sende Selbst­ver­ständ­nis von Verein und ehrenamtlicher Tätigkeit wird ihre Integration weiter voran­bringen und den Anteil der Migran­ten in Vorständen steigen lassen.

Es ist ein langer Weg. Gemeinsam müssen wir stetig daran arbei­ten, Vorbehalte abzubauen und dabei andere kulturelle und ethi­sche Lebensformen zu respektieren.

Die Herkunft sollte eines Tages keine Rolle mehr spielen, so wie im Verband der Kleingärtner Baden-Württemberg, wo in 143 Vereinen etwa 70 % der Vorstandsmitglieder einen Mi­gra­tions­hin­ter­grund haben und alle Funktionen wahrnehmen, vom Vorsitzenden bis zum Beisitzer und Revisor.

Joachim Roemer,
Vizepräsident des Landes­verbandes Niedersächsischer Gartenfreunde