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Migranten in die Vorstandsarbeit einbeziehen
Foto: Roemer Selbst Google muss passen. Das gewünschte Ergebnis – Migranten in Vorständen von Kleingärtnervereinen – fehlt in der so treffsicheren Internetsuchmaschine. Vorstandsarbeit scheint auch in unseren über 15.000 Vereinen nach wie vor fest in deutscher Hand zu sein.
Mitglieder mit Migrationshintergrund nehmen zu
Migranten als Oberbegriff schließt Ausländer (im rechtlichen Sinne) und eingebürgerte deutsche Staatsangehörige und Aussiedler ein. Nach dem Fall des eisernen Vorhangs hat die Zahl dieser Mitglieder stark zugenommen, erreicht in Vereinen einen Anteil von bis zu 30 %, manchmal noch darüber.
Da sollte man annehmen, dass diese Mitglieder auch verstärkt in die Vorstände drängen. Doch das Gegenteil trifft zu. Wir beklagen, dass ihre Integration in das Vereinsleben schwierig ist und sie nicht ausreichend Verantwortung in den Vereinen übernehmen. Dennoch gibt es erste Beispiele.
Sprachkenntnisse sind Voraussetzung
Über Mehmet Gümüs berichtete die Neue Ruhr-Zeitung/Neue Rhein-Zeitung. Gümüs hatte 2008 den Vorsitz im Kleingärtnerverein „Blüh auf“ in Duisburg übernommen. „Mehmet spricht wunderbar deutsch“, bescheinigt ihm sein Gartenfreund Heinz Meskath. „Aber die Satzung des Kleingartens musste er erst lesen und verstehen lernen, und auch wie er seinen Mitgliedern die deutschen Regelgepflogenheiten beibringt, z.B die Ruhezeiten.“ Diese Hürde können oder wollen viele Migranten nicht nehmen.
Spezielle Schulung für Migranten
Wenn wir von Migranten Vorstandsarbeit erwarten, müssen wir sie schulen. Demokratische Grundregeln, unsere Grundrechte und in Grundzügen das Bürgerliche Gesetzbuch gehören dazu, wenn Kenntnisse über Vereins- und Pachtrecht, über Kassenführung oder über den Betrieb eines bewirtschafteten Vereinshauses vermittelt werden sollen.
Spezielle Einsteigerseminare sind eine Möglichkeit, die wir in Zusammenarbeit mit den örtlichen Volkshochschulen veranstalten können. So bietet beispielsweise das Projekt MIGELOS in Köln, eine Vereinigung von russischsprachigen Eltern, Kurse an, um angehenden „Migranten-Eltern-Lotsen“ die Kenntnisse in Vereinsgründung und -führung zu vermitteln.
Keine vergleichbaren Strukturen in der Heimat
Deutschland ist das Land der Vereine. Das Ehrenamt ist der Kitt unserer Gesellschaft, sagen viele Politiker. In Deutschland hält dieser Kitt. 2005 gab es fast 600.000 Vereine. Etwa 60 % der 80 Millionen Bundesbürger sind Mitglied in einem Verein. Jeder Dritte arbeitet ehrenamtlich.
Im Vergleich dazu sind in Russland von 145 Millionen Menschen keine 10 % in Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vereint. Viele wissen nichts von diesen Organisationen. Keine günstige Voraussetzung für das Ehrenamt.
Argwöhnisch betrachtet
Auch die öffentliche Debatte über Migrantenorganisationen mag die Einbindung von Migranten in unsere Vorstände erschweren. Ihre Heimat- und Kulturvereine und religiösen Organisationen werden kritisch betrachtet, in die Kategorie „Parallelgesellschaft“ gesteckt. Erst mit dem Integrationsgipfel 2006 wurden einige dieser Organisationen als Dialogpartner auf Augenhöhe anerkannt. Viele von ihnen engagieren sich selbst in Politik und Gesellschaft und setzen sich für die Integration ein.
Das Interesse mehren
Nach Internetrecherchen gibt es 179 deutsch-russische Vereine, in den Bereichen Landsmannschaften, Kultur, Wirtschaft und Sport, für Kinder und Jugendliche. Auch Vereine für Automobilfans, für Katzenliebhaber und sogar für Angler sind bereits eingetragen.
Das wachsende Angebot bietet Chancen auch für das Kleingartenwesen. Wenn immer mehr Migranten lernen, die Vorteile der Vereine und der Selbstverwaltung für ihre privaten Interessen und ihr gesellschaftspolitisches Engagement zu nutzen, dann wird auch die Bereitschaft zunehmen, in unseren Vereinen mitzuwirken. Mit Hilfe der Integrations- oder Ausländerbeauftragten in unseren Kommunen können wir hier aktiv unterstützen.
Hürden überwinden
Foto: Zuleia Solange Bedenken gegen die Aufnahme von Migranten in Vereine als Mitglieder bestehen, kann auch ihre Wahl in den Vorstand auf Vorbehalte stoßen. Das ging vielleicht auch Yasar Pàlabiyikaus aus Hamburg-Wilhelmsburg so. Seine Gartenmitglieder mussten erst sehen, dass er die Regeln genauso anwendet wie seine deutschen Kolleginnen und Kollegen, dass er ebenso mit Augenmaß und Toleranz seine Aufgaben ausübt. Das befolgt er beim Bundeskleingartengesetz konsequent. Spielräume gewährt er z.B. bei der Heckenhöhe.
Für viele Berliner Gartenfreunde sind Migranten im Kleingarten ein recht junges Thema. Erst nach der Wende kamen sie verstärkt in die Kolonien. Mehmet Alkan war dann der erste Migrant, der in Berlin, im Weddinger Kleingärtnerverein (KGV) Scherbeneck, die Funktion des ersten Vorsitzenden übernahm. Wolfgang Dippold berichtete der Berliner Zeitung über seine Zufriedenheit mit seinem türkischen Vorsitzenden. Dieser sei ruhig, aber beharrlich und nicht gar so streng. Das weiß er zu schätzen.
Im niedersächsischen Lüneburg muss Waldemar Schmidt als zweiter Vorsitzender des KGV Ilmenau seine Rolle im Vorstand noch finden. Vor achtzehn Jahren kam er aus Kasachstan nach Deutschland. Für das Sofa fühlt er sich viel zu jung, und so organisiert der Vogelfreund jetzt im Verein insbesondere die Gemeinschaftsarbeit.
Ein paar Kilometer weiter, im KGV Düvelsbrook, ernannte der Vorstand 2009 Rudolf Haas und Alexei Mehlhaff zu Integrationsbeauftragten mit der Aufgabe, eine Brücke zwischen dem Vorstand und den Mitgliedern, vor allem deutsch-russischer Herkunft, zu bilden. Auch hier wurde die Akzeptanz aller Mitglieder nicht sofort erreicht.
Der Weg in die Normalität
Wir werden und wollen die Entwicklung nicht aufhalten. Der zunehmende Anteil von Migranten in den Kleingärten hat positiv zu einem Abbau von Leerstand in Kleingartenanlagen und zu einer Verjüngung der Mitglieder und ihrer Angehörigen geführt. Das wachsende Selbstverständnis von Verein und ehrenamtlicher Tätigkeit wird ihre Integration weiter voranbringen und den Anteil der Migranten in Vorständen steigen lassen.
Es ist ein langer Weg. Gemeinsam müssen wir stetig daran arbeiten, Vorbehalte abzubauen und dabei andere kulturelle und ethische Lebensformen zu respektieren.
Die Herkunft sollte eines Tages keine Rolle mehr spielen, so wie im Verband der Kleingärtner Baden-Württemberg, wo in 143 Vereinen etwa 70 % der Vorstandsmitglieder einen Migrationshintergrund haben und alle Funktionen wahrnehmen, vom Vorsitzenden bis zum Beisitzer und Revisor.
Joachim Roemer,
Vizepräsident des Landesverbandes Niedersächsischer Gartenfreunde