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Strukturwandel in Städten und Gemeinden
Leerstand in niedersächsischen Kleingartenanlagen
Foto: Roemer
Die Jahreshauptversammlung eines Bezirksverbandes ist fast zu Ende, als eine Gartenfreundin aufsteht: „Ich bin seit einigen Monaten Vorsitzende unseres Vereins. Wie ihr wisst, haben wir zahlreiche leer stehende Gärten. Ich hatte mir von der heutigen Versammlung Hilfe erhofft, wie wir damit umgehen können. Weder die Vertreter der Stadt noch der Bezirksverband und auch nicht der Landesverbandsvorsitzende haben mir etwas Konkretes dazu gesagt. Wir können nicht auf Dauer für die freien Gärten bezahlen.“ Alle Beteiligten schauen sich an. Jeder denkt, die gute Frau hat Recht. Dem Vorsitzenden gelingt es mit einigen beruhigenden Worten, die Versammlung zu beenden. Ein ungutes Gefühl bleibt bei den Angesprochenen.
Bei einem Rundgang durch die Kleingartenanlage sieht man, wovon die Gartenfreundin gesprochen hat. Zwischen vielen sorgsam bewirtschafteten Gärten gibt es einige leer stehende Parzellen. Hier hat schon seit langer Zeit kein Gärtner mehr Hand angelegt, kein Pinsel frische Farbe auf das Holz der Laube aufgetragen. Zwischen den Wegplatten wächst Gras, auf das noch niemand getreten hat. „Wir wissen nicht, was wir machen sollen, um die leeren Gärten wieder unter die Leute zu bekommen. Im letzten Jahr haben wir viele Stunden Gemeinschaftsarbeit eingebracht, um die Gärten wenigstens sauber zu halten. Auf Dauer geht das nicht“, erklärt die Vorsitzende schon fast resignierend.
Problem Flickenteppich
So etwas zu sehen und nicht sofort helfen zu können, macht betroffen. Gemeinsam mit den Verantwortlichen der Stadt werden wir nach Lösungen suchen, fällt uns dazu nur ein. Aber auch das – gut gemeint und mit ehrlicher Absicht – ist für die Betroffenen zu wenig.
„Wir haben in unserer Stadt einige Anlagen mit gleichen Problemen“, bringt der Vorsitzende des Bezirksverbandes ein. „In den bisher geführten Gesprächen mit der Stadtverwaltung sind wir schon ein kleines Stück vorangekommen. Soweit größere Flächen leer stehen, wollen wir gemeinsam versuchen sie anderweitig zu nutzen.“ Das ist aber nicht so einfach. Meist liegen die freien Gärten nicht nebeneinander, sondern verteilen sich wie ein Flickenteppich – ein Problem, das viele Vereine haben, die sich über Leerstand ärgern.
Die Gärten zusammenlegen, vielleicht hier und da die Wege zwischen den Parzellen neu anlegen, freie Gärten anderweitig nutzen, Grenzbefestigungen gestalten, einen großen zentralen Platz einrichten, auf dem die Kinder spielen und Kleingärtner mit Anwohnern feiern können – das sagt sich so einfach. Immer wieder fehlt es aber an Geld und Zeit. Beides ist notwendig, um manches abzureißen und vieles wieder neu aufzubauen.
Die Gartenfreunde zu bewegen, den Garten aufzugeben und an anderer Stelle neu anzufangen, ist auch nicht einfacher. „Ich mache doch nur noch ein paar Jahre. Ich kann doch nicht noch umziehen“, kommt häufig als Antwort.
Sozialer Wandel
Damit wird auch eines der Probleme deutlich, warum in der Stadt am nördlichen Rand Niedersachsens der ursprünglich hohe Kleingartenbedarf nachhaltig zurückgegangen ist. Viele Gartenpächter werden älter und müssen aufgeben. Eine rückläufige Bevölkerung trägt dazu bei, dass die Nachfrage nach Kleingärten hier und da zurückgeht.
Ursachen zeigen sich auch an anderen Stellen in der Stadt. Geschäfte stehen leer. Arbeitsplätze vor Ort fehlen. Wo sich die Einwohnerzahl einer Stadt verändert, Abwanderungen wegen fehlender Arbeit hinzukommen, entstehen Leerstände. „Dem kann der betroffene Verein selbst nicht alleine begegnen“, so der Verbandsvorsitzende.
Strukturwandel und eine älter werdende Bevölkerung, auch das gibt es nicht nur hier: Wir sind in einer Stadt im äußersten Westen. Hinter dem Deich sieht man große Schiffe dem offenen Meer zusteuern. Hier befindet sich eine Kleingartenanlage. Es ist gar nicht so lange her, dass alle Gärten belegt waren. Doch die Arbeit und das Leben an der Küste haben sich verändert. Nicht mehr jede Gemeinde hat ihren Hafen, der Arbeit und Brot für viele bietet. Jetzt fahren die Einwohner weit zur Arbeit oder sind ihr nachgezogen.
Auch das Gelände um die Kleingartenanlage weist deutliche Spuren des Strukturwandels auf. Wo früher Bänke standen und Wege eine parkähnliche Landschaft hinter dem Deich durchzogen, wuchern jetzt Wildkräuter, Büsche und Sträucher. „Die Stadt würde einen Teil der Anlage übernehmen, wenn der Teil denn gänzlich frei wäre“, so der Bürgermeister. Ist er aber nicht! Viele wollen bleiben, wo sie sind.
Hoffnungsschimmer
Dass es auch anderes gehen kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, zeigt ein Beispiel im Süden des Landes. Gleich hinter der Landeshauptstadt liegt das Ziel der Bewertungskommission „Gärten im Städtebau 2014“. Wir lauschen den Antworten auf die Fragen, wie die Stadt ihre Entwicklung und das Verhältnis zu den Kleingärtnern sieht.
Foto: Roemer
Ernst wird es, als es um den Bedarf an Kleingärten in der großen Stadt geht. Der Oberbürgermeister und der Vereinsvorsitzende können die Fragen parieren: „Wir haben in der Anlage lange Zeit leere Gärten gehabt, teilweise bis zu 25 % hier vor Ort.“ „Wir haben auch Kleingartenanlagen zurückgegeben, nicht viele, aber die Kleingärtner sind ordentlich entschädigt worden oder anderweitig untergekommen“, ergänzt der Bezirksverbandsvorsitzende. Von 25 % Leerstand ist es gelungen auf noch vier leer stehende Gärten zu kommen. Es konnten neue Gartenfreunde gewonnen werden: „Wir haben viel dafür getan und sind froh, dass junge Menschen mit Kindern zu uns kommen. Neun Nationen fühlen sich wohl und kommen miteinander aus. Auch das Wohnumfeld hier hat sich geändert“, erklärt der Vereinsvorsitzende. So geht Kleingarten heute, gar nicht so viel anders als vor Jahren, aber vielleicht offener und bunter!
Neben den vielfältigen Bemühungen des Vereins war das aber nur möglich, weil sich das Wohnumfeld der Kleingartenanlage verändert hat. Junge Familien zogen in die Nachbarschaft – die Basis für den Erfolg. Überall ist das nicht möglich.
Suche nach dem Patentrezept
In Braunschweig treffen sich an einem späten Märzwochenende Vertreter des Bundesverbandes und der Landesverbände und diskutieren, wie mit Leerstand umgegangen werden kann. Eine Bestandsaufnahme ergibt, dass vorwiegend in den neuen Bundesländern zahlreiche Gärten nicht mehr bewirtschaftet werden, während in den Ballungsräumen Kleingärten wieder stärker gefragt sind.
Die Ursachen sind vielschichtig und Lösungen nicht auf die Schnelle zu finden. Patentrezepte leider Fehlanzeige! Es entsteht ein Papier, mit dem weiter gearbeitet werden soll. Ein erster Schritt, werden die Vorsitzende und unser Vorstand hinter dem Deich denken, aber das reicht noch lange nicht. Auf der Konferenz in Braunschweig war die Sorge der Gartenfreunde aus den neuen Bundesländern um Leerstände in Kleingartenanlagen deutlich zu spüren.
In unseren Kleingartenanlagen in Niedersachsen gibt es im Verhältnis dazu fast keine Leerstände. Das Angebot entspricht im Wesentlichen der Nachfrage. Dies liegt daran, dass keine großen gesellschaftlichen Veränderungen zu bewältigen waren wie nach dem Ende der DDR. Gleichwohl gilt es auch hier, auf strukturelle Veränderungen in den Städten und Gemeinden zu reagieren, die auf das Kleingartenwesen durchschlagen. Ein Patentrezept hat leider keiner.
Hans-Jörg Kefeder
Präsident des Landesverbands
Niedersächsischer Gartenfreunde