Urteil

Begonnen von mexi71, 29. November 2017, 16:30:09

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mexi71

Mich würde mal eure Meinung zu folgendem Urteil interessieren. Wie wird es bei euch gehandhabt?

Kleingarten ohne Vereinsmeierei

Das Oberlandesgericht Hamm ist gegen Kopplungsgeschäfte
Mönchengladbach, 22. Oktober 2011. Wer einen Kleingarten pachten will, muss Mitglied in einem Kleingärtnerverein sein. Das erscheint logisch. Doch das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass Kopplungsgeschäfte zwischen dem Pachtvertrag und der Vereinsmitgliedschaft unzulässig sind.
In dem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht Hamm ging es um einen alltäglichen Streit bezüglich eines Kleingartens. Das Urteil des Oberlandesgerichts hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung, weil das Urteil folgende Aussagen über die Mitgliedschaft im Kleingärtnerverein und den Pachtvertrag für den Kleingarten enthält:
·   Pachtvertrag und Vereinsmitgliedschaft sind gesonderte Rechtsverhältnisse
·   Der Kleingärtnerverein kann Dauer und Bestand des Pachtverhältnisses nicht an die Mitgliedschaft koppeln "keine Zwangsmitgliedschaft".
Das Oberlandesgericht Hamm hat also entschieden, dass ein Kopplungsgeschäft zwischen dem Pachtvertrag und der Vereinsmitgliedschaft unzulässig ist (Oberlandesgericht (OLG) Hamm, 30. Zivilsenat, Urteil vom 10.09.2003,  Aktenzeichen: 30 U 47/03). Dieses Urteil ist richtungweisend.
In der Broschüre "Muß ich Angst um meinen Kleingarten haben?" kommentierte der Verband Deutscher Grundstücksnutzer e.V. ( VDGN ), Irmastraße 16, 12683 Berlin das Urteil u.a. so:
Grundstücksnutzer sind frei, sich einer Nutzersolidargemeinschaft anzuschließen oder nicht. Sie können weder zu einer solchen Mitgliedschaft gezwungen werden, noch darf das Zustandekommen eines Nutzungsvertrages von einer solchen Mitgliedschaft abhängig gemacht werden. Die Vereine müssen durch soziale Kompetenz um die Mitgliedschaft werben.
Dieses Urteil ist ein Schlag ins Geicht solcher Vorstände von Kleingärtnervereinen, die sich als Kommandanten von Gefangenenlagern verstehen. Davon gibt es leider viel zu viele.
In Mönchengladbach wurde das Urteil des OLG Hamm noch nicht umgesetzt, weil die Verpachtung von Kleingärten immer noch von der Mitgliedschaft im Kleingärtnerverein abhängig gemacht wird. Das kann als Nötigung bewertet werden.
Autor: Wilhelm Klumbies, D-41065 Mönchengladbach

gimli

Finde ich gar nicht so verkehrt, aber ist das Urteil denn auch rechtskräftig und bestätigt worden? Denn ich kenne das auch so, dass das in den meisten Anlagen offenbar Pflicht ist. Ich kannte das Urteil gar nicht...

Joey

Ein fast 15 Jahres altes Urteil kann ich nicht als richtungsweisend ansehen, wenn sich das in der Praxis überhaupt nicht auswirkt...

Colabaum

Also ich sehe das auch so das eine Mitgliedschaft zwar wünschenswert ist, aber was ist wenn der Verein aus welchen Gründen auch immer aufgelöst werden muß? Der Pachtvertrag würde da ja auch aufgelöst werden müssen und die Frage ist wer übernimmt die Kosten die den Kleingärtner entstehen, ich denke da nur an die komplette Beräumung seiner Parzelle. Ich bin der Meinung das es so gut ist das Mitgliedschaft und der Pachtvertrag 2 unterschiedliche Rechtsgeschäfte sind. Ob das Urteil nun alt ist oder nicht sollte egal sein, ein altes Urteil verliert ja nicht seine Rechtskraft.

mexi71

Zitat von: Joey am 29. November 2017, 16:54:24
Ein fast 15 Jahres altes Urteil kann ich nicht als richtungsweisend ansehen, wenn sich das in der Praxis überhaupt nicht auswirkt...
Ich glaube nicht, dass der Zeitpunkt dieses Richterspruchs relevant ist. Seit wie vielen Jahren gilt das Bundeskleingartengesetz?

mexi71

Ich kann auch ganz ehrlich nicht verstehen, warum wir jeden Gartenpächter in die Vereine "rein zwingen". Was habe ich wohl von solch einem Mitglied zu erwarten? Gar nichts! Damit schaffen wir uns nur die Probleme, die wir im Verein haben.

verbandsfrei

Das Urteil aus Hamm ist richtungsweisend und von großer Bedeutung. Zwangsmitgliedschaften sind grundsätzlich nicht mit unserer freiheitlichen Lebensart vereinbar (wenn man mal von einigen, quasi "gottgegebenen" Zwängen, wie IHK oder Rundfunkbeitrag, absieht ;)). Vereine und auch Verbände (!) sollten durch Leistungen und Vorteile der Mitgliedschaft überzeugen und sich nicht auf derartigen Zwängen ausruhen können.

Es ist auch noch immer aktuell, wurde es doch erst in 2016 in zwei Berliner Urteilen bestätigt.

Entgegen der Ansicht des VDGN ist es aber sehr wohl im Rahmen der Vertragsfreiheit zulässig, die Mitgliedschaft im Verein zur Voraussetzung für den Abschluss eines Pachtvertrages zu machen. Das verhindert indes nicht, dass direkt nach Abschluss des Pachtvertrages das neue Mitglied seine Mitgliedschaft kündigt.
Genau dieser Fall - Pachtvertrag besteht fort, Mitgliedschaft ist beendet - wird in neueren Verträgen in Form einer Verwaltungspauschale bei Nichtmitgliedschaft abgefangen, welche als schuldrechtliche Vereinbarung sogar zulässig ist.

VG
verbandsfrei

P.S.: Bin selbst Vorstandsmitglied eines Gartenvereins.

Joey

@mexi71:

das Bundeskleingartengesetz wird regelmäßig angewendet. Das von Dir genannte Urteil eher nicht.

verbandsfrei

@Joey

Doch, das Urteil wird am Laufenden Band "angewendet", auch wenn die entsprechenden Tätigkeiten von Seiten der Verbände nicht dahingehend zu erkennen sind.

Nicht umsonst enthalten sämtliche (mir bekannte ;)) Formulare für Unterpachtverträge seit Anfang der 2000er Jahre diese Vereinbarung von Verwaltungskosten. Vermehrt hört man im Übrigen auch auf der Pachtvertragsebene Verein - Verband von derartigen Streitigkeiten. Die Verbände lassen wegen des Urteils aus Hamm (und entsprechender Folgeurteile) die Vereine sinnfreie Zusatzvereinbarungen zu bestehenden Verträgen unterzeichnen, wonach der Verein weiter Beitrag an den Verband zahlt, auch wenn der Verein aus dem Verband ausgetreten ist.

Hardy

Ich habe mir mal wieder den Mustervertrag für die pacht und die Satzung von Sachsen angesehen und fand das:
§ 5 Verwaltungskosten
(1) Verwaltungskosten der Pachtsache werden durch
den Mitgliedsbeitrag des Pächters sowie durch
Gemeinschaftsleistungen im Kleingärtnerverein
abgegolten, solange der Verein die Anlage verwaltet.
(2) Bei Nichtmitgliedschaft im Kleingärtnerverein
bzw. bei Beendigung der Verwaltungsvollmacht
des Vereins sind diese Leistungen durch finanzielle
Abgeltung in Höhe der ortsüblichen Kosten der
gewerbsmäßigen Verwaltung eines Kleingartens,
mindestens jedoch in Höhe von 10,00 € monatlich
zusätzlich zur Pacht und öffentlich- rechtlicher
Lasten sowie Gemeinschaftsleistungen durch den
Pächter zu erbringen.

Auszug: Musterpachtvertrag LV Sachsen
Quelle: Die inhaltliche Gestaltung des Pachtvertrages unter Beachtung
des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 11. April 2013
Karsten Duckstein (Rechtsanwalt, Magdeburg)
Bundesverband Kleingärtner 27.-29.5.2016,Lübeck, Rechtseminar

Satzung LV Sachsen Mai 2016

§ 3 Mitgliedschaft ist freiwillig und beitragspflichtig und weiter
unter 5. schriftlicher Austritt der Mitgliedschaft  bis 30.6.  des lfd. Geschäftsjahres.
Beiträge und Umlagen sind bis zum Ende des Geschäftsjahres zu entrichten.

Anmerkung: gilt für die Vereine zum Verband und kann so auch in den Vereinen zum Mitglied in den Satzungen beschlossen werden.

Die Teilnehmer aus der bisherigen Diskussion zum Thema Urteil, insbes. wenn sie selbst VS-Mitglieder sind, können das m.M.n. ergänzen, z.B. ob deren Satzung ,,angepasst" ist.

Übrigens der Vors. des LV Sachsen,ist zugleich Präsident des Bundesverbandes der Kleingärtner e.V.

Hardy

Joey

Interessant... ich behalte das mal im Hinterkopf. Denn die Diskussion in dieser Richtung kommt in der Tat häufiger hoch.

Danke für die Infos.

Hardy

Nichtmitglied und Verwaltungskosten
Die GF aus Sachsen-Anhalt sollten sich mal das Muster des Pachtvertrages aus dem RGV Wernigerode ansehen. Da ist der Verwaltungskostenanteil weit aus höher, als hier in Sachsen.
Hardy

mexi71

Was ist denn nun Sache? Laut dem obigen Urteil, kann also jeder Pächter seine Vereinsmitgliedschaft kündigen und der Verein könnte nichts dagegen tun, Pachtvertrag bleibt auf jeden Fall bestehen. Der Verein hat dann aber die Möglichkeit dem Pächter Verwaltungskosten abzuverlangen. Das geht doch aber nur, wenn diese auch im Pachtvertrag festgelegt sind und dies wird wohl gerade bei den Älteren nicht der Fall sein. Wie soll das also funktionieren? In meinem Pachtvertrag von 2011 ist eine Nicht-Mitgliedschaft gar nicht vorgesehen und daher auch keine Verwaltungskosten festgelegt.

verbandsfrei

Mit derartigen Altverträgen hätte der Verein im Fall der Fälle ein riesiges Problem...
Jedoch sollte man unabhängig von der formal-juristischen Sachlage den gesunden Menschenverstand nicht außen vor lassen:

Wenn nun jeder der Pächter die Mitgliedschaft kündigt und der Verein mangels entsprechender vertraglicher Regelung außer der Pacht und öffentlich-rechtlicher Lasten von den Pächtern nichts mehr erhält, fährt der Verein in sehr naher Zukunft finanziell gegen die Wand oder kann halt so gut wie nichts mehr für die Anlage tun. Im letztlichen Endeffekt geht damit auch die Anlage den Bach runter. Ohne die Gemeinschaftsflächen bzw. -einrichtungen ist der Kleingarten aber kein Kleingarten - mit den entsprechenden Folgen für jeden einzelnen Pächter.

Mindestens dürfte der Selbsterhaltungstrieb der Pächter bei Betrachtung der Folgen einsetzen.

mexi71

Na ja, die Verpflichtung zur Gemeinschaftsarbeit, ist zumindest bei uns in den Pachtverträgen verankert. Gemeinschaftsarbeiten um die Anlage in Ordnung zu halten, haben ja eigentlich auch nichts mit dem Verein zu tun. Sie müssten so oder so gemacht werden, egal ob nun ein Verein oder jemand anderes die Anlage verwaltet. Es geht also eigentlich nur um die Finanzen. Der Verein und der KV und LV würden von diesen Pächtern keine Beiträge mehr bekommen. Ich hatte auch schon mal einen Garten in einer Anlage ohne Verein. Da haben wir unsere Pacht an einen Rechtsanwalt, der als Verwalter eingesetzt war, überwiesen und fertig. Der Zusammenhalt der Pächter dort, war bald größer, als in den Vereinen von heute. Wir haben ca. 100 Mitglieder auf dem Papier stehen, wovon vielleicht 20-25 inklusive des Vorstandes, sich überhaupt für den Verein interessieren und mitarbeiten. Der ganz große Rest sind eigentlich nur Nutznießer von dieser Arbeit und kommen genau so in den Genuss der günstigen Pacht, obwohl sie für den Verein keinen Handschlag machen. Das ist das Ungerechte und da braucht sich niemand zu wundern, dass keiner mehr etwas für den Verein tun möchte. Es gibt ja gar keine Anreize dafür. Unabhängig von dem Urteil, sollte man mal das ganze Vereinssystem in Frage stellen. Was bringen mir denn Mitglieder, die ihre Mitgliedschaft als lästiges Übel in Kauf nehmen, nur um einen Garten pachten zu können. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß und unsinnig. Man muss alleine schon durch finanzielle Anreize, die Menschen zu einer Bewerbung für eine Mitgliedschaft bewegen.
Eigentlich sollte es ja ein Privileg sein, ein Vereinsmitglied sein zu dürfen, aber heute ist es mehr zur Last geworden. Daran hat dieses Zwangssystem Mitschuld.

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