- Gut zu wissen
Woher kommt unser Saatgut?
Foto: picture alliance/Geisler-Fotopress
Ob im Gartencenter, Baumarkt oder beim Onlinehändler: Die Auswahl an Gemüsesaatgut für Gartenfreunde ist groß. Das ist vor allem deswegen erstaunlich, wenn man einmal darauf guckt, wie viel Aufwand betrieben werden muss, bis etwa Tomaten- oder Gurkensamen in die Tüte kommen.
Bis zu 15 Jahre
Jedes Jahr im Herbst erscheinen die Kataloge der Saatgutanbieter, immer auch mit spannenden Neuheiten. Bis eine neue Sorte zum Verkauf angeboten wird, müssen die Saatgutanbieter aber viel Zeit und Mühe investieren. „Wir sind jetzt schon dabei, das Sortiment für die Jahre 2026/27 grob zu bestimmen; bis eine Sorte im Katalog aufgenommen wird, dauert es Jahre, viele Leute haben sich bis dahin viele Gedanken gemacht“, erläutert Bettina Sobbe, tätig für den Einkauf bei der Bruno Nebelung GmbH, zu der bekannte Marken wie „Kiepenkerl“ oder „Sperli“ gehören.
Foto: Bruno Nebelung GmbH
In der Regel züchten die Saatgutanbieter die neuen Sorten nicht selbst, dafür gibt es spezielle Zuchtunternehmen in Europa. Sobbe schätzt sie auf etwa 60 bis 80 Unternehmen – darunter bekannte Branchenriesen wie Syngenta, aber auch viele mittelständische Unternehmen. Besonders im Biobereich gibt es zahlreiche Züchter in Deutschland. Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter betreiben bei uns 58 Unternehmen Pflanzenzüchtung, der Großteil allerdings bei landwirtschaftlichen Kulturen, nur sieben züchten Gemüsesaatgut. Insgesamt werden hierzulande 115 Pflanzenarten züchterisch bearbeitet.
Die neuen Sorten melden die Züchter beim Bundessortenamt an – eine Voraussetzung dafür, um sie auf den Markt zu bringen. Für eine Zulassung muss die Sorte unterscheidbar, homogen und beständig sein. Jedes Jahr werden in Deutschland etwa 900 Sorten landwirtschaftlicher Arten angemeldet, darunter ca. 30 Gemüsesorten. Die Sortenausschüsse des Bundessortenamtes lassen in der Regel etwa 20 % der Sorten zu und tragen sie in die Sortenliste ein. Das Schutzrecht wird meist für 25 Jahre erteilt. Ist der Schutz ausgelaufen, können auch andere Anbieter die Sorte verkaufen.
Foto: Bingenheimer Saatgut AG
Für die Anmeldung muss die Sorte ihre Eigenschaften in einem zweijährigen Prüfanbau an bundesweit zehn bis 20 Stellen beweisen. Der Anbau wird fast immer ohne Fungizide oder Wachstumsregler durchgeführt, um die genetisch verankerten Eigenschaften beurteilen zu können. Bei einigen Pflanzenarten werden Sorten auch im ökologischen Landbau geprüft. Nach Angaben des Bundessortenamtes dauert die Züchtung einer neuen Sorte ca. 10–15 Jahre und kostet etwa 1–2 Mio. Euro – je nach technischem Aufwand und Pflanzenart.
Worauf es ankommt
Um die neue Sorte in den Verkauf zu bringen, präsentieren die Züchter den Anbietern ihre Neuheiten zumeist auf Feldtagen; große Feldtage gibt es etwa in der Pfalz oder in den Niederlanden. Die Einkäufer der Saatguthändler können sich dort ein Bild von den neuesten Sorten machen. Mitunter rufen die Züchter die Anbieter auch an, wenn eine bestimmte Kultur gerade besonders sehenswert ist.
„Wir achten dann auf Ertrag, Geschmack und vor allem auf aktuelle Resistenzen, die sich immer weiter verschieben. Die Züchter sind dabei in einem Wettlauf, immer wieder werden Resistenzen durchbrochen und neue Sorten mit neuen Resistenzen auf den Markt gebracht, aktuell ist dies etwa bei neuen Rassen von Bremia, einem Erreger des Falschen Mehltaus, der Fall“, erklärt Bettina Sobbe. „Alle Abteilungen, also Einkauf, Vertrieb und Marketing, gucken sich die Sorte dann genau an, wir fragen uns dann immer, ob die Sorte für Hobbygärtner geeignet ist. Wir haben dabei auch immer Trends im Blick. Bestimmte Kohlarten sind zum Beispiel wieder gefragt, wir werden daher neue Spitzkohlsorten mit kleineren Köpfen im nächsten Jahr im Blick haben. Die größeren Kohlköpfe, mit denen man früher eine große Familie tagelang ernährt hat, sind kaum noch gefragt.“
Unter Kontrolle
Die Saatgutverkehrskontrolle, die etwa von den Landwirtschaftskammern der Länder übernommen wird, prüft die Saat- und Pflanzgutqualität sowie Verpackung, Kennzeichnung und Verschließung. Außerdem werden von der Saatgutverkehrskontrolle regelmäßig Proben von Saatgutpartien an das Bundessortenamt versendet. Das Bundessortenamt führt dann einen so genannten Nachkontrollanbau durch. In diesem Nachkontrollanbau wird das Saat- oder Pflanzgut noch einmal auf Sortenreinheit und Sortenechtheit überprüft.
Wenn eine Sorte für die Anbieter interessant ist, wird diese zur Testung ein bis drei Jahre unter „normalen Bedingungen“ nachgebaut, Nebelung hat dafür einen eigenen Versuchsgarten. Darüber hinaus wird das Saatgut im Labor auf seine Keimfähigkeit oder etwa seine Triebkraft untersucht. „Der Kontrollanbau hat bei uns auch den Vorteil, dass wir da 200 bis 300 Tomatensorten nebeneinanderstehen haben, die wir vergleichen können“, erläutert Sobbe. So eine Prüfung ist leider nicht selbstverständlich, manche Anbieter sparen sich die enormen Kosten dafür. Andere Anbieter konzentrieren sich bei der Qualitätskontrolle mehr auf die Überprüfung der Saatgutlieferanten.
Züchtung im Verein
Bei Anbietern aus dem Ökolandbau läuft das alles etwas anders ab: Die Bingenheimer Saatgut AG ist etwa aus einem Zusammenschluss von Betrieben entstanden, die biologisch-dynamisches und ökologisches Saatgut vermehren. Die Aufgabe der AG ist es, die Vermehrung in den mittlerweile rund 90 Betrieben zu koordinieren, das Saatgut aufzubereiten und zu vertreiben.
Die Sorten kommen hier von Züchtern, die sich in den Vereinen „Kultursaat“ und „Saat:gut“ zusammengeschlossen haben, in Ausnahmefällen werden aber auch Sorten von externen Züchtern ins Programm aufgenommen. „Viele unserer Sorten kommen von ökologischen Gartenbaubetrieben, die sich neben dem klassischen Erwerbsanbau bei einzelnen Arten auch züchterisch betätigen. In groß angelegten Züchtungsversuchen werden hier für den ökologischen Landbau geeignete, samenfeste Sorten selektiert, die zum Beispiel widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten sind, besser mit dem Klimawandel zurechtkommen oder vom Markt bevorzugte Formen bilden“, so Michael Buß von der Bingenheimer Saatgut AG. Das Besondere: Die Sorten dürfen von allen genutzt und nachgebaut werden, ihre Nutzung ist nicht durch Eigentumsrechte eingeschränkt.
Foto: Bruno Nebelung GmbH
Um eine Sorte auf Herz und Nieren zu prüfen, wird diese dann an unterschiedlichen Standorten in Deutschland angebaut und auf ihre Eignung für den Erwerbsgartenbau getestet. „Mit einer Auswahl an Kandidaten geht es dann in der nächsten Saison in den Anbau auf unseren eigenen Versuchsflächen und in Partnerbetrieben. Im Folgejahr stellen wir interessierten Erwerbsgärtnereien Saatgut im Austausch zu ihren Erfahrungen mit der Sorte zur Verfügung. Auch innerhalb der Bingenheimer Saatgut AG wird eine neue Sorte in allen Abteilungen geprüft, insbesondere die Vermehrbarkeit sowie der Reinigungs-, Diagnostik- und Abfüllprozess“, erklärt Buß.
Produktion weltweit
Hat sich ein Anbieter wie Bruno Nebelung für eine Sorte entschieden, vereinbaren der Züchter und der Saatgutanbieter eine Mindestabnahmemenge und eine Mindestlaufzeit, etwa 5000 Korn pro Jahr über drei Jahre. Die Vermehrung unter Glas oder auf großen Feldern wird oft von den Züchtern selbst übernommen. Dabei konzentrieren sich die Unternehmen auf die Vermehrung spezieller Gemüsekulturen. Im Erwerbsgartenbau oder im Bio-Bereich gibt es auch Unternehmen, die sich ausschließlich auf die Vermehrung bestimmter Gemüsekulturen spezialisiert haben.
Foto: Bingenheimer Saatgut AG
Um das Saatgut zu produzieren, benötigen die Pflanzen oft deutlich mehr Zeit als bis zur Ernte. Während Radieschen etwa schon nach einem Monat geerntet werden, brauchen ihre Samenträger bis zur Reife sechs Monate. Ein trocken-warmer und langer Spätsommer ist daher für viele Kulturen wichtig, um eine hohe Keimfähigkeit des Saatguts zu erzielen.
Deswegen ist die Produktion des Saatguts oft in Länder ausgelagert, in denen milderes Klima herrscht. Bei der Bingenheimer Saatgut AG versucht man möglichst regional zu erzeugen, aber auch hier kommt es zum Teil aus Frankreich oder Italien. Die sehr wärmebedürftige Kulturen Basilikum und Majoran werden bei einem Partnerbetrieb in Ägypten vermehrt.
Ein weiterer Grund dafür, die Vermehrung ins Ausland zu verlagern, sind Schadinsekten. „Wir haben Partnerbetriebe in den Niederlanden und Dänemark, wo das maritime Klima die Vermehrung dieser Insekten verhindert und gute Bedingungen für die Saatguterzeugung von Radieschen, Rettich, Asia-Salaten und Blumenkohl bietet“, erklärt Michael Buß.
Saatband, Saatscheiben, pilliertes Saatgut
Um die Aussaat zu erleichtern, wird vor allem feines Saatgut in Saatbändern oder Saatscheiben verkauft. Das bietet den Vorteil, dass das Saatgut schneller, einfacher und vor allem gleichmäßiger ausgesät werden kann, außerdem müssen die auflaufenden Pflanzen nicht vereinzelt werden und sind gegen Wegspülen durch Regen und Gießwasser und vor Vogelfraß geschützt. In der Keimphase sind die Samen aber stärker von Austrocknung bedroht. Ebenso gibt es pilliertes Saatgut, also Saatgut, das von einer Schutzschicht aus organischen oder mineralischen Bestandteilen, in die z.B. Nährstoffe eingebunden sind, ummantelt ist und ebenfalls eine bessere Keimung verspricht.
Auch bei Nebelung ist das nicht anders, erläutert Bettina Sobbe: „Wenn das Saatgut nicht weltweit produziert würde, könnten wir viele Sorten nicht mehr anbieten. Das hat nichts damit zu tun, Kosten zu sparen, dafür sind die Transportkosten auch viel zu hoch. Vielmehr liegt es am Klima und dem Krankheitsdruck, vor allem Viruskrankheiten, etwa beim Salat, bereiten da große Probleme. Um Ernteausfälle zu kompensieren, wird mittlerweile auf der Nord- und auf der Südhalbkugel produziert. Wir hatten in den letzten Jahren viele Probleme mit totalen Ernteausfällen.“
Von Tasse bis Container
Bei der Lieferung des Saatguts werden nach der Sichtkontrolle zuerst Rückstellproben genommen – dies ist gesetzlich vorgeschrieben. Ebenso wird die Feuchtigkeit gemessen und die Ware auf Verunreinigungen, Pflanzengesundheit sowie auf Keimfähigkeit und Triebkraft untersucht. „Erst wenn alles okay ist, werden die Chargen zum Abfüllen freigegeben“, so Bettina Sobbe.
Foto: Bingenheimer Saatgut AG
Kurios: Das Volumen der Lieferungen ist extrem unterschiedlich. Partien können dabei so klein sein, dass sie in eine Kaffeetasse passen, andere brauchen einen Container. Immerhin wiegen 1000 Körner der Möhre unter 1 g, 1000 Körner der Dicken Bohne dagegen über 1 kg.
Die Ware wird gereinigt, kühl gelagert und in aufwendigen Prozessen gesiebt und abgefüllt. Die Hauptsaison dafür ist meist von August bis Dezember. Auf der Verpackung muss immer ein offiziell eingetragener Name verwendet werden, zumindest die neuen Sorten tragen EU-weit die gleiche Bezeichnung. Und so landet eine neue Sorte am Ende im Verkauf und oft auch im Gemüsebeet eines Kleingartens.
Sören Keller
Redaktion „Gartenfreund“,
Verlag W. Wächter