- Kleingartenwesen
Vom Objekt zum Subjekt
Neue Wege zur Sicherung von Kleingartenflächen
Foto: Gloszat
In vielen Städten geraten immer öfter Kleingartenanlagen ins Visier von Verwaltung und Investoren. Dagegen gibt es zwei Möglichkeiten des Widerstands: Eine fundamentale Opposition mit dem Risiko, alles zu verlieren, oder die Möglichkeit, selbst Alternativen aufzuzeigen. Diese „aktive“ Form der Abwehr erfordert, dass sich die Verbände und Vereine im Klaren darüber sind, was sie wirklich wollen. Denn eine Einigkeit der Organisation in der Strategie ist wichtig. Den Verhandlungspartnern muss klar sein, dass es sich bei den Kleingärtnerorganisationen um einen Verhandlungspartner „auf Augenhöhe“ handelt, der Verabredungen und Zusagen einhalten kann.
Konkret muss der Verband oder Verein einen Katalog an eigenen Forderungen und Interessen intern zusammenstellen und realistische bzw. realisierbare Handlungsvorschläge entwickeln. Wenn sich eine Organisation auf den Weg der Verhandlungs- und Vertragspolitik begibt, kann es trotzdem zu Rückschlägen und Enttäuschungen kommen. Im weiteren Prozess wird man aber aus den Erfahrungen lernen und erkennen, dass am Ende für das Kleingartenwesen mehr herauskommt.
Die Flächen werden knapp
Seit mehreren Jahren erleben die meisten Städte einen starken Anstieg der Einwohnerzahlen. Viele Menschen ziehen vom Land in die Stadt – insbesondere jüngere Familien mit Kindern. Viele wohnen in Geschosswohnungen, vorzugsweise in Gründerzeitvierteln. Der Zustrom von Flüchtlingen hat die Entwicklung weiter forciert. Die Folgen: Immer mehr Flächen werden für den Wohnungsbau, für Gewerbe und weitere Infrastrukturmaßnahmen in Anspruch genommen. Die Flächenkonkurrenz der unterschiedlichen Nutzungen wird immer größer.
Für den Bau von 5600 Flüchtlingswohnungen bis zum Ende dieses Jahres hat der Hamburger Senat z.B. entschieden, auch größere Areale in Landschaftsschutzgebieten heranzuziehen. Das zeigt, dass auch Kleingartenflächen von dieser Entwicklung nicht ganz unberührt bleiben werden. Jedenfalls wäre es töricht anzunehmen, dass Kleingartenflächen vor dem Hintergrund der geschilderten Situation zukünftig nicht angegriffen werden könnten. Die Frage ist, wie sich die Hauptpächter (Verband bzw. Verein) in den betroffenen Regionen strategisch zu dieser Situation stellen.
Das Heft in die Hand nehmen
Die klassische Handlungsmaxime ist, größtmöglichen Widerstand zu organisieren und zu versuchen, die Kleingartenanlagen möglichst ungeschoren durch den oben geschilderten Megatrend zu führen. In Anbetracht der massiven Wucht der Entwicklung erscheint diese Vorgehensweise jedoch wie der volle Einsatz auf eine Farbe im Roulette! Der Sieg ist möglich, aber ebenso der Untergang mit wehenden Fahnen. Ein weiterer Nachteil liegt in dem defensiven Charakter dieser Strategie.
Abzuwarten, was auf die betroffene Kleingartenanlage zukommt, macht die Kleingartenorganisation zum „Objekt“ der Entwicklung. Andere Akteure, d.h. Investoren, Verwaltungen und Politiker, entscheiden alleine über das Schicksal der Kleingartenfläche. Am Ende steht in der Regel eine Abwicklung der Kleingartenparzellen nach Gesetzeslage. Nicht weniger, aber auch nicht mehr!
Vor dem Hintergrund der oben geschilderten Lage reicht es für einen Kleingärtnerverband oder -verein nicht aus, sich ausschließlich defensiv oder gar passiv zu verhalten. Es gilt, im Rahmen der Möglichkeiten aktiv in das Geschehen einzugreifen, eigene Vorschläge zu unterbreiten, Alternativen aufzuzeigen und handelnder Akteur zu werden – aus der Rolle eines „Objektes“, über dessen Schicksal andere entscheiden, in die Rolle eines „Subjektes“ zu wechseln und über das eigene Schicksal mit zu entscheiden.
In den letzten Jahren sind z.B. in Hamburg mehrere neue Handlungsansätze mit Unterstützung des Landesbundes der Gartenfreunde in Hamburg in die Diskussion gebracht und zum Teil gemeinsam mit der Stadt verwirklicht worden. Grundlage dafür waren der Hauptpachtvertrag über alle städtischen Kleingartenflächen (ca. 95 % der Kleingartenanlagen) und ein seit 1967 bestehender Vertrag, der u.a. die Herrichtung von Ersatzparzellen auf Kosten der Stadt für überplante Kleingartenflächen regelt. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen unter anderem:
- Die „flächendeckende Nachverdichtung“ in Kleingartenanlagen mit größeren Parzellen von ca. 500 bis 1000 m² aus der Vorkriegszeit, mit dem Ziel der Schaffung von Ersatzparzellen im Bestand der Kleingartenanlage
- Im Rahmen von größeren Wohnungsbaumaßnahmen ab ca. 150 Wohneinheiten neue Parzellen im Bebauungsplanverfahren vorzusehen
Beide Ansätze sollen an zwei Beispielen veranschaulicht werden:
Nachverdichtung im Bestand
Ausgangslage ist ein Pilotprojekt auf der Vorkriegsanlage des Kleingärtnervereins „Gartengemeinschaft Diebsteich-Bornkamp“ im Bezirk Altona – mit 70 Parzellen und einer durchschnittlichen Parzellengröße von ca. 500 m². Die Verhandlungen mit der Stadt zuvor wurden mit dem Ziel geführt, eine Win-win-Situation zu erreichen. Im Ergebnis einigte man sich auf eine Nachverdichtung der Anlage. Der Vorteil für die Stadt liegt auf der Hand: Gerade in Gebieten mit hoher Flächenkonkurrenz ist die Herrichtung von Ersatzparzellen ohne Inanspruchnahme von neuen Flächen sehr hilfreich. Der Vorteil für den Kleingärtnerverein liegt darin, dass die gesamte Infrastruktur der Anlage (Wasserleitungen, Wege) auf Kosten der Stadt erneuert wurde.
Die Nachverdichtung fand „im Bestand“ statt, d.h. erhaltungswürdige Gartenlauben blieben stehen, andere wurden auf Kosten der Stadt abgeräumt. Großbäume und weitere nicht kleingartentypische Gewächse wurden ebenfalls auf Kosten der Stadt entfernt. Darüber hinaus erhielt die Anlage den Status einer Dauerkleingartenanlage.
Schaffung von Ersatzparzellen
Der Schaffung von ca. 160 Ersatzparzellen im Rahmen einer großen Wohnungsbaumaßnahme von 1400 Wohnungen im sog. Pergolenviertel im Bezirk Hamburg-Nord war die schmerzhafte Kündigung von 330 Kleingartenparzellen zum Ende des Jahres 2015 vorausgegangen. Der Beschluss zur Bebauung des Areals wurde von der Bezirksversammlung in Hamburg-Nord einstimmig, d.h. mit den Stimmen aller Fraktionen, gefasst. In der Folge gab es langwierige Verhandlungen zwischen der Stadt und dem Landesbund der Gartenfreunde.
Im Ergebnis konnte man sich u.a. darauf einigen, dass die Hälfte der erforderlichen Ersatzparzellen „im Bestand“ durch Nachverdichtung auf der bisherigen Kleingartenfläche entstehen soll, weitere 60 Parzellen werden in unmittelbarer Nähe am Stadtpark und weitere 90 im nördlichen Teil des Bezirkes neu hergerichtet. Bei der Entscheidung halfen die Erfahrungen aus der oben geschilderten Nachverdichtungsmaßnahme in Altona.
Im Rahmen der Umsetzung der jeweiligen Maßnahmen und Vereinbarungen werden Erfahrungen gesammelt, die in die Planung und Vorbereitung zukünftiger Projekte einfließen. Wichtig ist, dass aufseiten der Akteure in Politik, Verwaltung und auch z.B. bei den Wohnungsbaugesellschaften die Bereitschaft zu komplexeren, aber für alle Seiten vorteilhafteren Lösungen wächst. Die Kleingärtnerorganisationen, insbesondere die Verbände, sind gefordert, sich auf die gegebene Situation einzustellen und sich weiter auch hauptamtlich kompetent zu organisieren.
Dirk Sielmann
Vorsitzender des Landesbundes
der Gartenfreunde in Hamburg