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Natur verkehrt: die Herbstzeitlose
Foto: Roßbeck Das soll gleich vorweg verraten werden: Herbstzeitlose gehören in unseren Breiten zu den Blumen mit den größten Einzelblüten. Wer hätte das gedacht? Und wen erinnert ihr Anblick nicht an den Frühling? An Krokusse, besser gesagt. Dabei ist mit dem ersten Erscheinen Herbstzeitloser unwiderruflich der Herbst eingezogen. Im Übrigen verbinden sie mit Krokussen lediglich gewisse optische Übereinstimmungen.
Wiesen in „Flammen"
In den Monaten September bis November ragen die zarten violettfarbenen „Flämmchen" aus Wiesen, deren einstmals sattes Grün von Woche zu Woche mehr ins Gelbliche umschlägt. Herbstzeitlose – ihr Name deutet es an – passen nicht in das gewöhnliche biologische Schema: Blüten im Frühjahr, Früchte im Herbst. Colchicum autumnale beweist, dass es auch umgekehrt bestens funktionieren kann.
Nun darf man nicht denken, das späte Mädchen Herbstzeitlose habe irgendwann irgendwie per Zufall den Anschluss verpasst. Das isolierte Erscheinen ihrer Blüten auf der Naturbildfläche hat viel mehr mit Methode zu tun.
Garantieschein für Arterhaltung
Je kürzer und kälter die Tage werden, desto weniger nahrhafte Nektartankstellen stehen z.B. Bienen, Hummeln oder Schmetterlingen offen. Mit anderen Worten: Wer die lästige Konkurrenz so weit hinter sich lässt, kann sich der geballten Aufmerksamkeit von Insekten ziemlich sicher sein, was ja, günstige Witterung vorausgesetzt, fast als Garantieschein hinsichtlich der Arterhaltung angesehen werden kann.
Jede Herbstzeitlose, die im Herbst erscheint, ist genau genommen ausschließlich Blüte. Vergebens die Suche nach Blattwerk, vergebens auch die nach einem Stängel. Was man für einen solchen halten könnte, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als die Röhre der Blütenkrone.
Nicht, dass der Herbstzeitlosen überhaupt kein Stängel wächst, nur verbirgt der sich zur Blütezeit 10 bis 15 cm tief unter der Erdoberfläche. Dort sitzt er am Vorratsspeicher Knolle, die aus dem vergangenen Frühjahr stammt. Gut zu wissen ist vielleicht, dass die Knollen der Herbstzeitlosen stets in einer frostfreien Bodenzone stecken!
Notfallprogramm für schlechtes Wetter
Foto: Roßbeck Spätblüher können, trotz klug gewählter ökologischer Nische, ihrer Sache hinsichtlich Insektenbestäubung nicht unter allen Umständen sicher sein. Denn dauerhafte Schlechtwetterperioden können die geflügelten Bestäuber am Flug hindern. Folglich hat die Evolution wieder einmal mit einer Doppelstrategie vorgesorgt und die Herbstzeitlose mit einem Notfallprogramm ausgestattet.
Und das sieht folgendermaßen aus: Bei widrigem Wetter faltet sie die meist unterschiedlich langen Enden ihrer Blütenblätter wie ein schützendes Tuch über ihren Fortpflanzungsorganen zusammen. Regentag für Regentag, Frostnacht für Frostnacht zieht sie die Staubbeutel näher an die Griffel heran. Erst wenn sich die Blüte am Ende ihres Lebens zum letzten Male schließt, drücken die Blütenblätter ganz sanft den Pollen auf die Narbe. Die Selbstbefruchtung ist eingeleitet.
Nicht Tulpenknospe, sondern Fruchtkapsel
Genau die Stelle, an der die zarte Herbstzeitlose nun doch nicht umsonst gestorben ist, steuern wir im nächsten Frühjahr an. Wenn andere Pflanzen zu blühen beginnen, im April oder Mai, erscheint endlich auch von der Herbstzeitlosen, was wir ein paar Monate zuvor vermissten. Jetzt hat sich ihr Stängel gestreckt, gemeinsam mit kräftigen dunkelgrünen Blättern strebt er ans Licht.
Soweit entspricht die Entwicklung des an eine Tulpe erinnernden Gebildes noch der Norm. Was nicht Eingeweihte allerdings für eine Tulpenknospe halten könnten – und es sogar häufig tun –, birgt eine echte Überraschung: Handelt es sich doch um die Fruchtkapsel unserer Herbstzeitlosen. Und wer ganz genau hinschaut, entdeckt an deren Spitze noch die faserartigen Reste der herbstlichen Blüte.
Im Juni etwa werden die Samen der Herbstzeitlosen, mittlerweile dunkelbraun, in die Freiheit entlassen und sind zudem – ein weiterer Trick des Liliengewächses – mit einem klebrigen Anhang versehen. Ans Fell oder Gefieder ahnungsloser Tiere geheftet, erobert der potentielle Nachwuchs auf diese Weise recht bequem neue Herbstzeitlosen-Welten.
Brigitte Roßbeck
Anmerkung der Redaktion: Alle Pflanzenteile der Herbstzeitlosen sind sehr giftig. Vergiftungsfälle entstehen z.B. durch Verwechslung mit Bärlauch.