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Die Möhre – ein Erfolgsmodell
Foto: Roßbeck Möhre, Karotte, Gelbe Rübe, Mohrrübe oder Wurzel– hinter vielerlei mundartlichen Bezeichnungen verbirgt sich Daucus carota. Die Rede soll sein von einem Lebensmittel, das aufgrund seiner guten Eigenschaften für die Ernährung, seines unproblematischen Anbaus und seiner hervorragenden Lagerfähigkeit als eines der weltweit wichtigsten gilt. Doch gehen wir nach dieser globalen (Vorab-)Lobpreisung wie gewohnt ins Detail.
Sprachliches Wirrwarr
Die älteste überlieferte Abbildung einer Möhre entstand im antiken Griechenland. Staphylinos nannte Dioskorides die 60n.Chr. von ihm dargestellte und beschriebene Pflanze. Ob es sich dabei um eine Vertreterin der Urspezies Daucus carota carota oder um die Kulturform Daucus carota sativus der offenbar seit eh und je beliebten Pflanze handelte? Niemand weiß es zu sagen.
Schlechte Erfahrungen mit eindeutiger Zuordnung von Möhren-Fundstücken aus prähistorischen Abfallgruben machten auch Archäologen. Aber selbst frühe schriftliche Quellen helfen in Sachen Möhrenhistorie kaum weiter, denn schon im Einflussbereich der alten Römer herrschte Begriffskonfusion hinsichtlich dem würzigen Wurzelwerk (haben Sie schon einmal über die enge Wortverwandtschaft nachgedacht?) von Pastinaca sativa, dem Gemeinen Pastinak also, und Daucus carota, der Möhre schlechthin. Zu den Doldengewächsen gehören schließlich beide.
Aus dem sprachlichen Wirrwarr ergeben sich weitere Fragen: Sind die pastinaca in der „Physika“ der Hildegard von Bingen wirklich als ein Hinweis auf Pastinaken zu verstehen, respektive verbergen sich nicht dahinter doch Karotten? Was meinen die „Capitulare“ Karls des Großen, wenn sie carvitas als Hausgartenbesiedler proklamieren? Auch hier können, glaubt man Experten, durchaus Möhren gemeint gewesen sein.
Im Blickpunkt: die Blüte
Die erste unzweifelhafte Erwähnung finden sie im 13. Jahrhundert bei Albertus Magnus: Daucus nennt er seine Empfehlung und führt zudem als Indiz die kleine dunkelrote Sonderbarkeit im Zentrum des ansonsten rein weißen Blütenschirms einer Möhrenpflanze an. Ob seinerzeit das Rhizom eher als Arznei- oder als Nahrungsmittel angesehen wurde, klärt selbst dieser große Gelehrte nicht.
Die andersfarbige Mittelblüte der Möhren! Sie fand als Erkennungsmerkmal Eingang in die Kräuterbücher des 16. und 17. Jahrhunderts. Darüber hinaus ließ Hieronymus Bock beispielsweise seine Leserschaft 1546 wissen, dass im Gegensatz zur „zamen“ Möhre, die Wurzel der „wilden“ „gantz dünn“ und „ganz holtzicht, selten fingers dick und jnwendig weiß“ ist; sie „wechst“, fährt der Autor fort, „hinter den zeunen, an den felßen und äckern, in dürrem sandichten ertrich (Erdreich)“.
In der Tat war und ist die Ahnfrau aller Möhren, Karotten, Gelben Rüben, Mohrrüben oder Wurzeln außerordentlich anspruchslos. Das ist ein Vorzug, den sie den genetischen Aufsteigern vererbte.
Siegeszug der Möhre
Carota, dieser Möhrenname taucht erstmals 1586 auf. Der Nürnberger Künstler Joachim Camerarius schnitt das Gewächs in Holz und schrieb darunter: „Carota pflegt man daselbst in Gärten zu pflantzen, denn man kocht die Wurtzel, schneidet sie in Scheiblen und bereitets zum Salat, sonderlich im Winter, da man andere Salatkreuter nicht haben mag.“ Demnach hatte die Wurzel nun definitiv Eingang in deutsche Küchen gefunden.
Fernreisende trugen in der frühen Neuzeit Saatgut unterschiedlichster Provenienzen zusammen. Aus Frankreich und Italien kamen die je länger gewachsenen desto lieber kultivierten Favoriten. Obwohl in kolorierten Büchern hauptsächlich Gelb als Farbe von Möhren erscheint, dürfen wir davon ausgehen, dass es vor 300 Jahren schon weißes, rotes, tiefviolettfarbenes, ja sogar fast schwarzes Möhrengemüse gab.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist nur zu wissen: Lediglich die in unseren Augen typisch orangegelben Exemplare enthalten Carotin, eine Vorstufe (ein Provitamin) des Vitamins A. Dank moderner Züchtungen konnte der Carotingehalt von Möhren mittlerweile um ein Vielfaches gesteigert werden.
Der Siegeszug der Möhre war nicht aufzuhalten. Um 1866 existierten in deutschen Landen rund ein Dutzend Sorten. Seither hat ihre Zahl stetig zugenommen– mit eindeutiger Tendenz zu dem Erfolgmodell, das heutzutage die Gemüsetheken füllt und unser aller Möhrenbild prägt.
Ob die „Gemüsetheken-Möhren“ nicht nur ein Augenschmaus sind, wollen wir einmal dahin gestellt lassen. Denn nichts geht über Geschmackserinnerungen an noch sommersonnenwarme, just aus dem Beet gezogene, nicht mehr als notwendig von Erdreichresten befreite, an Ort und Stelle genüsslich verzehrte Möhren, Karotten, Gelbe Rüben, Mohrrüben oder Wurzeln.
Brigitte Roßbeck